living in funny eternity _ L.I.F.E
Nothing less than life itself is at stake in the most recent production by Liquid Loft, and closely connected to it experiences, and surviving. This time not only six dance performers will be on stage, but joining them there will be a live band, in the shape of the Viennese experimental rock band Bulbul.
L.I.F.E. is a dream on live screen! In this new constellation, musicians, and dancers move freely in a hybrid space between stage and live-video.
The stage in the Burgtheater will turn into a “dream machine” in the form of a cinematographer. Film aesthetics and a live performance join to create a complex visual and atmospheric piece. A series of balancing acts on the tight ropes of paradoxical relations: the veil becomes the show and manifestation, existential pains a science fiction bacchanal.
In living in funny eternity_L.I.F.E., “life” seems to strike a (fragile, but all the more ludicrous) on-stage balance in its deciding moments of existential concentration; what emerges is a work-life balance of the utopian kind. The presented characters – who are also intermediary beings, chimeras and mutants, and who, in the frame of an odyssey, are in continuous metamorphosis and mutual fusion – initially depict and introduce something strangely “external,” but at the same time allow for a deeper insight into a fictitious interior behind the animal textiles and reptile patterns, shimmering and alienating. The audible echo of “life” comes in with the help of a live band, injecting the happenings over and over with nuance and confronting the transforming with the unexpected.
The old dualisms of directness and obliqueness, the internalized and the externalized, concreteness and abstraction, find their parallel existence in the music: the things played, the things distilled from noises, dialogues and electronically maltreated song fragments get thwarted by the (seeming) immediacy of the wall of sound being constructed in real time – and then again get perfectly complemented by it. Because behind the rock music the trio Bulbul rudely pushes out onto the stage (and that only on the very first listen sounds unfiltered), there – in accordance with the choreography – lurks a kind of hybrid, something built from countless acoustical will-o’-the-wisps and style concoctions, adding layers of meaning and associative material to the stage action.
The duplicity of theatrical, bodily and sculptural figure morphing – that via real-time cinematic processing glistens with the two-dimensional and the larger-than-life, with the illusionistic, a kind of trompe l’oeil – unleashes something doubly striking: the strictly physical art of depiction by the cast is complicated by the concurrently arranged disembodiment in the video footage, is multiplicated as pure fascination. The mirror that we hold up to ourselves does not reflect what the reflected bring to it, it has its own logic and agenda. It distorts, the way we stretch the textiles on our bodies, it falsifies, revokes, it differs; it breaks with the old pact of stability and reproduction. In a world of vicissitude, of authoritative unreliability, the optical illusion is the only appropriate mean.
Stefan Grissemann
Tanz.Ist Dornbirn, AT
Tanz.Ist Dornbirn, AT
CCAM Scène Nationale de Vandoevre, France
CCAM Scène Nationale de Vandoevre, France
ImPulsTanz Vienna Int. Dance Festival / Burgtheater Wien, AT
ImPulsTanz Vienna Int. Dance Festival / Burgtheater Wien, AT
ImPulsTanz Vienna Int. Dance Festival / Burgtheater Wien, AT
dates
Dance, Choreography: Luke Baio, Dong Uk Kim, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Breanna O’Mara, Hannah Timbrell
Live Band, Composition: Manfred Engelmayr, Roland Rathmair, Dieter Kern
Artistic Direction, Choreography: Chris Haring
Composition, Sound Concept: Andreas Berger
Light Design, Scenography: Thomas Jelinek
Theory: Stefan Grissemann, Lyrics: Sophie Reyer
Choreographic Assistance: Stephanie Cumming, Katharina Meves
Stage Management: Roman Harrer
Companie Management/ Production: Cornelia Lehner, Marlies Pucher
Videodocumentation: Michael Loizenbauer
Costumes: Stefan Röhrle
Distribution: APROPIC – Line Rousseau, Marion Gauvent, Lara van Lookeren
A co-production of ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, CCAM / Scène Nationale de Vandœuvre and Liquid Loft
Liquid Loft is supported by the Cultural Department of the City of Vienna (MA 7) and the Austrian Federal Ministry of Arts and Culture, Civil Service and Sport (BMKOES). Bulbul by SKE.
Friendly support by Österreichisches Kulturforum Paris
credits
DerStandard, 10. Juli 2023
Helmut Ploebst
Impulstanz
Liquid-Loft-Uraufführung im Burgtheater
Das Ensemble dringt in „Living in funny eternity_L.I.F.E.“ bei Impulstanz weiter in die allesfressenden Bildwelten sozialer Medien vor
Wien im Jahr 2023. Wieder bricht eine Gruppe von Choreonautinnen namens Liquid Loft mit ihren männlichen Kollegen auf in die Spiegelwelten hinter den Kameras. Mittlerweile dehnen sich diese Welten zu annähernd unendlichen Weiten aus, weil auf diesem Planeten immer mehr Kameralinsen alle und alles beobachten.
Living in funny eternity_L.I.F.E. heißt die neue Reise von Chris Haring mit seinem Ensemble Liquid Loft und der Rockband Bulbul. In seiner Uraufführungsversion bei Impulstanz auf der Bühne des Burgtheaters tritt diese Expedition, wie bereits einige ihrer Vorgängerinnen, als Spiel mit dem Science-Fiction-Genre auf sowie als Tanz des in seinen Medien aufgehenden Menschen mit den Projektionen und Bildgespenstern von sich selbst.
Das Wort „Choreonaut“ hat zwar nur 29 Einträge bei Google, aber die Bezeichnung passt gerade perfekt zu den Leuten der Liquid-Loft-Crew, weil sie sich als choreografische Reisende durch performative Räume und das Universum der Bilder aufführen. Seit mehr als zwanzig Jahren dringen Chris Haring und die Seinen mit jedem ihrer Stücke tiefer in diesen allesfressenden Spiegelraum ein. Nicht ohne Grund also bezeichnet die Gruppe ihre aktuelle L.I.F.E.-Expedition auch als eine „Odyssee“.
Auftritt: Die Kamera
Weil als deren Schlüsseltechnologie und damit Hauptdarstellerin die Körperbilder konsumierende und transformierende Kamera auftritt, steht ein solches Gerät – zierlich auf seinen drei Stativbeinchen – bereits im Zentrum der Bühne, bevor noch die Performance begonnen hat. Erst sobald es wirklich losgeht, kommen die Musiker, und zuletzt tauchen die Tänzerinnen und Tänzer auf. Deren Kostüme werden genauso wichtig genommen wie die Projektionen, denn die Körperhülle gilt in unserer Gesellschaft als das wichtigste Medium, mit dem sich jemand in die soziale Welt einbringt.
Und die ist eine lustige Welt geworden, in der sich menschliche Körper laufend und mit viel Tralala ihren virtuellen Abbildern unterwerfen, zum Beispiel auf Instagram, Tiktok oder Youtube. Aber auf diese Medien muss Liquid-Loft-Mastermind Chris Haring gar nicht mehr anspielen, das machen die Kameras und die Live-Projektionen auf der Bühne schon ganz von selbst. Die Crew wirkt wie immer unverkennbar in ihrer Erscheinung und ihrem Verhalten. Neu ist, dass Breanna O’Mara als Tänzerin vom Tanztheater Wuppertal Pina Bausch zu Liquid Loft übergelaufen ist. Eine beeindruckende Erscheinung, die offensichtlich Spaß am kameraaffinen Vorführen der Kraft unserer Eitelkeiten hat.
Im Lichtbecken baden
Weil diese Kraft alles andere als dezent ist, donnert das Bulbul-Trio immer wieder in den trickreichen Tanz-Trip hinein. Zeitweise badet Hannah Timbrell in einem Lichtbecken oder wird Dong Uk Kim von einem Spiegel verzerrt, bis es schmerzt. Wie selbstverständlich verschmelzen projizierte Figuren mit den live Performenden. Hier ist der Weg ins virtuelle Nirwana so kurz wie der für Lewis Carrolls kindliche Alice bei ihrem Übertritt ins Spiegelreich. Die Liquid-Loft-Gestalten kommen ohne eigene Stimmen aus. Ihre Gespräche, unter anderem als Filmzitate, werden ihnen vom Band auf die Lippen diktiert.
Für L.I.F.E. veranstalten sie zauberhafte Veränderungsspiele mit allerlei meist dehnbaren Stoffen. Dabei machen sie sich nie lächerlich, sondern halten an ihrer Attraktivität fest, eisern, bis zur letzten Konsequenz. Alice ist dem Spiegelreich entkommen, also aufgewacht. Wir alle, scheint Liquid Lofts Stück zu behaupten, träumen weiter. (Helmut Ploebst, 10.7.2023)
Tanzschrift.at 10. Juli 2023
Ditta Rudle
Schwankende Schatten, flüchtige Bilder
Sechs Tänzer:innen, drei Instrumentalisten und drei Kameras ergeben ein Pandämonium an kaum zu fassenden Figuren, einen ephemeren Bilderbogen, ein Spiegelkabinett auf unsicherem Boden. Living in funny eternity L.I.F.E nennen Liquid Loft & Bulbul die Choreografie von Chris Haring, uraufgeführt im Rahmen von ImPulsTanzFestival am 9. Juli auf der Bühne des Burgtheaters, die zugleich der Zuschauerraum ist.
Woran können wir uns noch festhalten, wenn alles Schwindel ist, die Bilder verzerrt, gefälscht, wie Wasser den Augen entgleitend? Tarnen und Täuschen scheint das Motto dieser Aufführung zu sein, in der sich die Tänzerinnen, Anna Maria Nowak, Breanna O‘Mara, Hannah Timbrell, und Tänzer, Luke Baio, Dong Uk Kim, Dante Murillo, gemeinsam mit den Live-Videos bewegen und verwandeln. Figuren aus einer anderen Welt, Tiere, Gespenster, Himmel und Berge tauchen auf, die Außenhaut wird ständig gewechselt, ein wildes Tier, Reptilien, süße Katzen, elegante Vögel, eine Christus-Figur oder ist es die marmorne „verschleierte Jungfrau“? Nicht nur die Haut wird im unaufhörlich auf das Publikum brausenden Sturm der Bilder immer wieder von neuem übergezogen. Die dehnbaren Kostüme hat Teammitglied Stefan Röhrle entworfen und sich dabei selbst übertroffen. Die Farben schimmern, die Pailletten glitzern, die Tänzerinnen präsentieren sich als Diven, um gleich wieder zu verschwinden, sich auf der Silberfolie zu aalen und mit sich selbst in Dialog zu treten. Eisberge wachsen, die Kunstgeschichte grüßt von der Videowand, die Gestaltwandler und -wandlerinnen tummeln sich mit leeren Augen in der Ewigkeit, müssen lachen und auch seufzen, haben kein Geschlecht und auch keine Zukunft. Sie spielen Komödie und merken nicht, dass sie mitten in der Tragödie stecken, sie geben sich bunten Träumen hin und wissen nicht, dass sie selbst Traumfiguren sind. Wer aber träumt diese amorphen Gestalten? Pragmatisch, sachlich, realistisch gesehen ist die Antwort klar: Chris Haring und sein Team sind verantwortlich, Träumer:innen sind sie alle keine. Doch sie wecken alle – bewegt auf der Bühne, aufmerksam hinter der Kamera, rhythmisch an den Soundinstrumenten, konzentriert beim Nachdenken –, Träume im Publikum.
Ob träumend oder hellwach, die Fragen sind die gleichen: Was ist real und was ist gefälscht? Was sehen wir wirklich, was bilden wir uns ein? Mit optischen Täuschungen haben Künstler schon vor ein paar hundert Jahren Gottesfürchtige, die in den Himmel schauen wollten, genarrt. Der Mensch sieht, was er sehen will und glaubt auch das Unwahrscheinliche, Unwirkliche. Die kleinen Videokameras gleiten den Tänzer:innen von allein in die Hand, Michael Loizenbauer lenkt die Hauptkamera mit ruhiger Hand. Er ist – und das soll nicht verschwiegen werden, so schön und auch so lang ist das schmückende Epitheton – Senior Scientist am Peter Weibel Forschungsinstitut für digitale Kultur im Bereich KI und lenkt die flüchtigen, flüssigen, spiegelnden, verzerrten Bilder der Company seit bald 20 Jahren. Senior Scientist! Ein Titel, schön wie die Bilder, die er einfängt und bei Bedarf auch festhält, doch niemals während einer Vorstellung, da fliehen die Körper, verändern sich die Figuren, die Tiere, Dämonen und Chimären, bevor sie das Publikum richtig erfasst hat.
Liquid Loft selbst ist so flüssig nicht, wie der Name vorgibt. Chris Harings Team ist das einzige der freien Tanzszene, das eine 20-jährige Tradition in nahezu derselben Zusammensetzung hat. Und auch wenn Harings Gedankengänge und Bewegungsmuster und die Inspirationsquellen immer die gleichen sind, so ist doch jede Performance ganz anders, und neu, erweitert, möchte ich sagen. Diese aktuelle, dreimal im ImPulsTanzFestival gezeigt, darf ganz sicher als vorläufig eindringlichste, interessanteste, tiefsinnigste, kurz beste Performance von LIquid Loft / Chris Haring bezeichnet werden. Die Sechs auf der Bühne, alle seit vielen Jahren in die Company integriert, bewegen sich präzise, wie miteinander und auch den Kameras verwachsen. Die Choreografie ist stimmig und nicht manipulativ, gibt keinen Inhalt, keine Botschaften vor, will uns auch keine Intimitäten verraten, keine Meinung eintrichtern.
Man darf die sich auflösenden Bilder, die unter den Stoffbahnen getürmten Skulpturen, die Kunststücke, die alle sechs mit ihren ausdrucksstarken Tanzkörpern vollführen, das Licht, die Musik, die Gesamtinszenierung genießen und sich seinen eigenen Teil denken. Erstmals ist nicht nur Andreas Berger am Mischpult für Komposition und Klangraum verantwortlich, überraschend treten drei alte fröhlich gestimmte Herren mit Instrumenten vor den Tänzer:innen auf die Bühne: Manfred Engelmayr, Roland Rathmair und Dieter Kern sind Bulbul, „die wohl unkonventionellste, trippigste und schrägste Rockformation Österreichs“, steht im Programm-Faltblatt. Das Live-Trio, mit dem Geschehen auf Videowänden und Bühne eins oder auch dagegen spielend, hält mich auf dem Boden, holt mich mit Rhythmus und Drive aus dieser verwirrenden „lustigen Ewigkeit“, in der geschlechtslosen Spieler:innen auf dieser Bühne, die die ganze Welt ist, auftreten, heraus, gibt mir Sicherheit und Vertrauen. Nicht lange, jedenfalls keine Ewigkeit, schon lösen sich auch die Musiker auf, treten ab und überlassen dem wabernden elektronischen Sound den Auftritt.
Die Frage, ob wir in einen tiefen Brunnen gesperrt sind und träumen, dass wir leben, oder ob wir leben und träumen, ins finstere Gefängnis verbannt zu sein, ist noch immer nicht geklärt. Liquid Loft / Chris Haring hat sie lediglich von neuem gestellt.