my private bodyshop
photos: m. loizenbauer
multidimensional person
Eine etwas esoterisch verwöhnte Figur behauptet in einem von Irrsinn sanft gestreiften Tonfall, dass eine ganze Gesellschaft in ihr lebe. Sie sei zugleich ihr bester Freund und ihr größter Feind etc. und sie bräuchte deshalb mit niemandem anderen sprechen als mit allen, die sie sind.Dennoch verkündet sie dies in einem Gemisch aus Hilfeschrei und Selbstbeweihräucherung und widerspricht sich so selbst. Die Aufzählung aller möglichen Eigenschaften und Vorlieben inklusive von deren Gegenteil laugt schließlich den Drang nach dem Ganzen so aus, dass sie in den letzten reduzierten Modus der Kommunikation übergeht, den überaus künstlichen Zustand einer Idiotie, die durch das absolute Übermaß der medialen Kommunikation notgedrungen entsteht.
lost in translation
Der Performer versucht sich mitzuteilen, indem er an sich einzelne Körperteile benennt.Dazu spricht er ständig in einer Sprache, die für ihn verständlich scheint, tatsächlich aber nur wie Sprache klingt. Da er sich nicht verstanden fühlt, erscheint eine Übersetzerin, die seine Gesten wiederholt und diese unverständliche Sprache in eine andere Fremdsprache übersetzt. Der Sprecher ist aber unzufrieden mit der Übersetzung und verlangt eine andere Übersetzerin. Die beiden Übersetzerinnen fangen aber bald an, miteinander über das zu Übersetzende zu diskutieren. Der erste Sprecher verlangt schließlich noch einen Übersetzer, der aber völlig eigenwillig eine andere Demonstration des Körpers mit ebenfalls unverständlichem Kommentar begleitet. Der Körper als scheinbar klassischer Schauplatz der Übersetzbarkeit wird im Scheitern der verbalen Übersetzung kenntlich als Stolperstein der Privatheit.
Mousonturm Frankfurt a.M., DE
Republic Salzburg, Austria
Posthof Linz, Austria
Tanzquartier Wien, AT
Tanzquartier Wien, AT
dates
Artistic Direction, Choreography: Chris Haring
Dance, Choreography: Stephanie Cumming, Giovanni Scarcella, Ulrika Kinn Svensson, Johnny Schoofs
Set, Decor: Erwin Wurm
Sound, Acoustic Space: Glim (Andreas Berger)
Dramaturgy: Thomas Jelinek
Text: Katherina Zakravsky
Production Management: Jessica Wyschka
Photo: Michael Loizenbauer
A co-production of Tanzquartier Wien and Liquid Loft in cooperation with Choreographic Center Linz and Szene Salzburg.
With support of Bundeskanzleramt Sektion Kunst and Kulturabteilung Stadt Wien.
credits
der standard, 29.12.2005
Erstklassige Statements auf internationalem Niveau / Helmut Ploebst
Mit My Private Bodyshop setzte Chris Haring sein erstaunliches künstlerisches Abheben fort, das er unter anderem seinem Talent zur Zusammenarbeit – hier mit so überzeugenden Tänzerinnen wie Stephanie Cumming und Ulrika Kinn Svensson bzw. dem Musiker Glim (Andreas Berger) oder dem Künstler Erwin Wurm – verdankt. Haring arbeitet mit Klugheit, Risikobereitschaft und der Einsicht, dass die Tage des einsamen Choreografenheros ihrem Ende zutanzen….
die presse, 29.10.2005
Wie eine Hand voll Kieselsteine im Bauch
Tanzquartier. Chris Haring und Liquid Loft erheitern / Isabella Wallnöfer
Wenn Johnny Schoofs sein vom Computer verzerrtes „Blue Moon“ anstimmt, hängt die dichte Luft der Halle G im Wiener Museumsquartier voller verstimmter Töne. Da liegt er. Am Rücken. Als wäre er aus Versehen über eines der herumliegenden Kabel gestolpert. Hingeworfen in eine ziemlich komische Pose, den gesichtslosen Kopf hinter einer schwarzen Lautsprecherbox verborgen. Während er singt, besser: während sein aufgezeichneter Gesang aus der Box quillt, macht Johnny mit den Händen eigenartig kapriziöse Bewegungen, wie man sie bei Kammermusik-Abenden manchmal an Solisten sieht. Hier wirkt die steife Geste aber fehl am Platz, ja amüsant.
Choreograf Chris Haring lässt in seiner Performance „My Private Bodyshop“ die Gedanken zwischen den Zeitebenen pendeln, die Tänzer werden immer wieder von ihrem Gesagten eingeholt, das als Brummen, Raunzen oder ultraschnelle Mickey-Mouse-Stimme ihre Bewegungen evoziert. Sie synchronisieren eigene Worte, interpretieren sich selbst in Körpersprache.
Das Stück lebt von der Persönlichkeit, vom Humor und der Selbstironie der Darsteller. Herrlich, wie Giovanni Scarcella mit verwundertem Blick auf den Po-Backen balancierend seine Beine in alle Himmelsrichtungen streckt und dabei (via Lautsprecher) knurrt und grollt, als käme eine Hand voll Kieselsteine in seinem Bauch in Bewegung. Verwirrend, wie Stephanie Cumming, blass und verloren, Verfolgungsfantasien spinnt: Da sei eine Kamera in ihrer Zahnbürste! Auch Ulrika Kinn Svensson, ausdrucksstarker Neuzugang bei Haring, schwelgt in Fantasien. Sie träumt von einem Bett aus schaukelnden Schiffen, ist das leise surrende, sich ruckhaft bewegende Roboter-Girl und erheitert als outrierende Zicke.
Erwin Wurm hat die Ausstattung schlicht gehalten: weißer Boden, schwarze Kabel, schwarze Boxen, schwarzer Vorhang. Mehr braucht es nicht. Die Tänzer und ihre Körper sprechen für sich selbst (unterstützt durch die einfallsreiche Geräusch-Kulisse von Andreas Berger alias Glim): 60 vergnügliche Minuten über Privatheit, über Verrücktes, über die Möglichkeit, sich auszudrücken, und die Wahrscheinlichkeit, dabei missverstanden zu werden.
kurier, 31.10.2005
Die Nase passt nicht / Andrea Amort
Beinahe schon ein künstlerischer Spiegel der Realität: Chris Haring läßt in seiner Uraufführung „My Private Bodyshop“ Ansprüche privater und öffentlicher Meinung auf einer menschelnden „Fläche“ zusammenfließen. Auf dem weißen Bühnen-Set erzählen uns zwei Tänzerinnen und zwei Tänzer wie zufallsgesteuerte computergenerierte Menschen Doubles von ihren Verhaltensweisen in Zeiten zwischen Vereinsamung und Big – Brother Phänomen. In den Mündern gurgeln Sätze von Nasen, die der Öffentlichkeit nicht passen. Stimmen tun sich auf, die wie fremd in falschen Körpern wirken. Und diese Körper suggerieren Bilder seltsamer Verbiegungen und Verformungen. Statt Ganzheiten wusseln da Vielheiten im Cartoon – Abbild vor sich hin. Mit der Übersetzung und Synchronisation von Sprache und Körpersprache will gespielt werden, sagt das Programmheft. Haring gelingt im Verbund mit Erwin Wurm (Ausstattung) und Andreas Berger alias Glim (Komposition) ein adrett-heiterer, in seiner Wirkung allerdings rasch absehbarer „bodyshop“, an dem das in Scharen herbeigeeilte Publikum seine helle Freude hatte.
tanzjournal, 06.05
/ Helmut Ploebst
In einer Soundkonstruktion von Glim ( Andreas Berger ), mit – neben der bestechenden Tänzerin Cumming – Johnny Schoofs, Ulrika Kinn Svennson, der Ausstattung des renommierten bildenden Künstlers Erwin Wurm, mit Theoriearbeit von Katherina Zakravsky und in der Dramaturgie von Thomas Jelinek ist dem Choreografen Haring nach Legal Errorist ein zweiter großer Wurf gelungen.
wiener zeitung
Synchronisation von Körper und Sprache / Verena Franke
Vier Darsteller versuchen sich Gehör zu verschaffen: Sie befinden sich auf der Bühne des Wiener Tanzquartiers in einem weißen Quadrat und haben Lautsprecher unter die Arme geklemmt. Mit einem figurenspezifischem Bewegungsrepertoire erzählen sie witzige und absurde persönliche Geschichten. Ihre Stimmen sind dabei vom Computer verzerrt.
Der österreichische Choreograph Chris Haring zeigte Donnerstagabend das dritte Modul „Liquid Loft“ seiner Serie „My Private Bodyshop“. Mit Hilfe des elektronischen Musikers Andreas Berger möchte Haring in diesem Werk mit der Übersetzung und Synchronisation von Sprache und Körpersprache spielen.
Dies gelingt auch in einer der Kernszenen, die auf humoristische Weise kommunikative Miss verständnisse aufzeigt: Ein Performer versucht sich mitzuteilen, doch spricht er in einer fremden Sprache. Eine Übersetzerin möchte gestikulierend und sprachlich vermitteln. Der Sprecher ist unzufrieden, zwei weitere Übersetzer erscheinen, die jedoch völlig unbeirrt eine andere Bewegung mit unverständlichem Kommentar begleiten. Bald diskutieren die Performer nur mehr mit MickeyMouse-ähnlichen Stimmen.
Unterstützt wird Haring von einem beachtlichen Team: Stefanie Cumming, Giovanni Scarcella, Johnny Schoofs und Ulrika Kinn Svensson vermitteln mit Professionalität Tanztheater auf gutem Niveau. Erwin Wurm zeichnet sich für die minimale Ausstattung verantwortlich. Haring präsentiert sich als einfallsreich und spaßig, doch ist die im Programm angekündigte Sinntiefe der Produktion nicht erkennbar.