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bühnenstücke

Von den ersten Arbeiten - Fremdkörper (2003) und Diese Körper, diese Spielverderber (2004) - an, bricht Liquid Loft mit der Vorstellung, dass die Präsenz des Körpers in der Performance unmittelbarer sein könne als die sprachliche Äußerung oder das mediale Bild. Liquid Loft misstraut jedem Eindruck von Natürlichkeit auf einer Bühne und fragt vielmehr nach den kulturellen Einschreibungen und choreografischen Mitteln, die diesen Eindruck hervorrufen.

Geleitet von einer Auseinandersetzung mit Science-Fiction-Literatur und Cyborg-Theorie reflektieren die frühen Arbeiten von Liquid Loft, wie sich unsere Wahrnehmung und Körper durch visuelle Medien und den alltäglichen Gebrauch von Technik verändern. Die Choreografie verschiebt Perspektiven, isoliert gestische und auch sprachliche Muster aus gewohnten Zusammenhängen und versucht den fremden Blick auf den Körper in seine Bewegung zu integrieren. Zentral ist hierbei das Verfahren einer akustischen Dislozierung.

Diese akustischen Environments schaffen neue Denk- und Bewegungsräume für den Tanz. Sie verschieben und verändern das individuelle Klangumfeld, trennen die Stimme vom Körper, geben sie verfremdet zurück und erlauben den Tänzer*innen neue, überraschende Möglichkeiten der Rekombination ihrer Ausgangselemente.

Mit ihrem Verfahren der Dekonstruktion und Rekonstruktion sowohl des tänzerischen Bewegungsmaterials wie der Perspektiven körperlicher Wahrnehmung hat Liquid Loft in den folgenden Arbeiten neue choreografische Handlungsfelder erschlossen. My Private Bodyshop und Kind of Heroes (2005) reflektieren den veränderten Umgang mit Sprache im Kontext von Globalisierung. Running Sushi (2006) bringt das in der Performance unhintergehbare Moment körperlicher Präsenz in Kollision mit den veränderten Bildkonventionen japanischer Manga-Ästhetik. Die drei Teile des Posing Project - The Art of Wow, The Art of Seduction und The Art of Garfunkel (2007-2008) untersuchen das Arsenal von Gesten, Bildern und Täuschungen in einer Zirkulation des Begehrens.

Wintersonne (2008), der österreichische Beitrag zur Weltausstellung in Zaragoza, ironisiert die Stereotypen nationaler Selbstdarstellung im globalen Kontext. Lovely Liquid Lounge und Das China Projekt (2009), eine Zusammenarbeit mit dem Jin Xing Dance Theatre analysieren die soziale Zuschreibung von Geschlecht (gender) im Medium des Tanzes und das Exotische in der Wunschproduktion europäischer Kultur. Das Faszinosum des Außergewöhnlichen und Fremden war auch ausschlaggebend für die Zusammenarbeit mit den TänzerInnen des Ballet de Montecarlo (Sacre: The Rite Thing, 2010) bevor sich Liquid Loft wieder auf den Kern der Truppe konzentrierte und mit Talking Head (2010) Sprache als Skulptur bzw. als Bewegung begreifen lässt.

 

Gemeinsam mit dem bildenden Künstler Michel Blazy (FR) entstand ab 2011 die Perfect Garden Serie, die sich mit künstlichen Paradiesen, barocker Dekadenz und Vergänglichkeit beschäftigen. Die Performance WELLNESS (2011) wurde ortsbezogen für das Palmenhaus im Wiener Burggarten entwickelt. Es folgte Mush:Room (2012), eine installative Performance, in deren Zentrum ein Kubus aus schillernden Klebefäden (Blazy) stand. Deep Dish (2013) bildete den dritten Teil der Serie: Installativ als opulentes Abendmahl aus organischem Material (Blazy) arrangiert, wird dieses zur Reise in visuelle Parallelwelten.

Die Integration der Kamera als Element der Choreografie wurde in der Imploding Portraits Inevitable Serie (2014-2016) weiter verfeinert und intensiviert. Inspiriert von Filmen Andy Warhols und der New Yorker Factory entstanden Shiny Shiny... , False Colored Eyes  (Kooperation mit dem Wiener Burgtheater und dem ImPulsTanz Vienna International Dance Festival) und Candy's Camouflage.

Ein zentrales Element bei allen Produktionen von Liquid Loft ist unter anderem der Einsatz von Sprache. Foreign Tongues (2017/2018) folgt hier einem ganz neuen Ansatz: Aus über 100 Sprachaufnahmen aus verschiedenen Regionen Europas wurde eine Art „babylonische Bibliothek“ geschaffen. Ausgangspunkt für mehrere site-spezifische Produktionen waren Slangs, Dialekte und Regionalsprachen, die in persönlichen Interviews vor Ort aufgezeichnet wurden. Die Serie beinhaltet das Bühnenstück Foreign Tongues (Toulouse), orts-spezifische Projekte der Foreign Tongues (Street Cluster) in Kooperation mit dem IN SITU Netzwerk und La Strada Graz, Church of Ignorance, eine Produktion für die Dominikanerkirche beim donaufestival Krems 2018, und die stage-on-stage Version Babylon (Slang) beim ImPulsTanz Vienna International Dance Festival 2018.

Für die nächste Produktion, Models of Reality (2019), nutzte Liquid Loft das breitgefächerte Soundmaterial und die Erfahrung im urbanen Raum aus Foreign Tongues, um mit architektonischen Formen im (Bühnen-)Innenraum zu arbeiten. Gemäß dem Leitsatz der Bauhaus-Schule „form follows function“, wird in Models of Reality den „Funktionen“ Raum, Bewegung und Klang eine choreografische Form gegeben.

 

Stand-Alones (polyphony) (2019) ist eine choreografische und musikalische Komposition aus gleichzeitig performten Soli, die an bestimmten Momenten miteinander synchronisiert und zu einer Polyphonie zusammengeführt werden. Jede einzelne tänzerische Interpretation beruht auf einer eigenständigen Musik-, Sprach- oder Soundkomposition. Das Konzept wurde ursprünglich für das Leopold Museum Wien entwickelt und anschließend für andere Museumsräume adaptiert, gefolgt von Versionen im öffentlichen Raum. Die Video Paintings sind eine filmische Umsetzung von Stand-Alones, die entweder als cinematografische Rauminstallation oder als interaktive Online-Installation gezeigt werden kann.

Für Blue Moon, You Saw ... (2020) diente die entrückte Atmosphäre von Alain Resnais’ Filmklassiker Letztes Jahr in Marienbad und die Interpretation des Songs “Blue Moon” von Elvis Presley als Inspiration. Liquid Loft kehrte zum 15. Geburtstag der Company zu einem Gruppenstück zurück, in dem die Autonomie der Tänzer*innen aus Stand-Alones weiterhin zum Ausdruck kommt.

Stranger Than Paradise ist ein hybrides, subtil futuristisches Kammerspiel für acht Personen und eine investigative Kamera. In Kooperation mit dem Tanzquartier Wien wurde 2021 ein Film im Bühnensetting realisiert und live gestreamt; ein zweiteiliger Abend aus Film und Liveperformance fand im selben Jahr beim ImPulsTanz Vienna International Dance Festival statt. Stranger Than Paradise wurde weltweit auf Tanz- und Filmfestivals gezeigt.

In der jüngsten Produktion Modern Chimeras wird das aus der Antike stammende Motiv der Schimären in die Gegenwart assoziiert. Das 2022 im Rahmen des ImPulsTanz Vienna International Dance Festival im Odeon Theater uraufgeführte Stück ist eine Utopie, die von der Gleichberechtigung der Wesen, der Vermeidung von Hierarchien kündet, vom Ende jener Krücken, die wir Kohärenz und Ordnung nennen.

kollaborationen

Die Affinität zu aktuellen Positionen in der Bildenden Kunst haben zu einer Erweiterung der Arbeitsweise in Richtung Film (gemeinsam mit Mara Mattuschka) und Installation (Kollaborationen mit bildenden Künstlern wie Aldo Giannotti, Günter Brus, Erwin Wurm, Michel Blazy) geführt. Diese Expansion der choreografischen Arbeitsweise in Medien und jenseits der Bühne erlauben es dem Tanz, sich im fremden Blick immer wieder neu zu entdecken, wie z. B. in den Living Room Products, einer Serie von Kunstinstallationen zum Thema Choreographie. Die Living Room Products wurden als spartenübergreifendes Experiment und mit dem Gedanken des Austausches zwischen Musik, Film, bildender Kunst, etc. und Choreografie in einer informellen Wohnzimmeratmosphäre ins Leben gerufen.  Im Bereich zeitgenössischer Musik arbeitete Liquid Loft mit den Musikern des Phace Ensemble für zeitgenössische Musik, dem Komponisten Arturo Fuentes sowie mit dem Künstler Günter Brus (Grace Note, 2012) zusammen.

Zu den internationalen Ensembles, mit denen Liquid Loft Bühnenstücke entwickelte, zählen u.a. Dialogue Dance Kostroma, RU (Groza, 2012), Staatstheater Kassel (Lego Love, 2013), Contemporary Ballett Moskau (Frozen Laugh, 2014) Balletto di Roma (Giselle, 2016),  Balé da Cidade de Sao Paolo  (Deranged, 2018) und TANZ LINZ (Schwanensee, 2022).

2022 initiierte Liquid Loft gemeinsam mit dem Odeon Theater das neue Format Living Positions, das international erfolgreiche, genreübergreifende und experimentelle, in Wien entstandene Produktionen, die dort bisher nur an wenigen Tagen zu sehen waren, wieder auf die Bühne bringt.