posing project B

the art of seduction

The Art of Seduction wurde für die Biennale di Venezia 2007 (Göldener Löwe für die beste Performance) zum Thema „Body und Eros“ erarbeitet und versteht sich als Synthese von Tanz und Installation, die das Verführungsspiel zwischen PerformerInnen und Publikum umkreist.

Die Pose ist hier jener zitternde Moment, wo ein Körper innehält, scheinbar in sich ruht, während sich schon sein Bild von ihm löst und als Stereotyp im Auge des Betrachters endet. Das Spiel der Verführung ist komplex: Man muss den Anderen glauben machen, dass man das hat, was er will, ohne dabei den Verdacht zu wecken, dass man nur aus persönlichen Motiven bereit ist, es herzugeben. Verführung will eine Verbindung herbeiführen mittels gegenseitiger Irreführung. Und das geht nicht ohne die Intervention einer dritten Partei – dem Pfeil des Eros.

photos: c. haring, m. loizenbauer

Der Pfeil ist dieser Sog, dieser Strahl des Fleisches – der Sog ins Unendliche.

Dieser Sog wird nur erträglich durch die Falten der Künstlichkeit, die Gesten der Verführung, die Kaprizen eines unhaltbaren Versprechens, die den Sog in sich umlenken, ohne ihm Einhalt gebieten zu können. Dieser Sog des Eros ist wie ein Striptease, bei dem alle Gesten der Enthüllung immer neue Schichten an Kleidern zu Tage fördern.

Diese Wesen, sind sie Lehrlinge in der Schule des Eros, die sich bemühen, das Handwerk der Kunst der Verführung zu lernen? Ihre kleinen Manöver des Anziehens und Posierens, ihre nachgiebige Einwilligung, fremde Worte und Lieder aus ihrem Mund kommen zu lassen, ihr plötzlicher Abstieg in den archaischen Abgrund der Sirenen und monströsen Models, beweisen ihre hohe Motivation – und doch … nichts schützt sie davor, selbst ihren Verführungsstrategien zum Opfer zu fallen. Hinter ihren Rücken enthüllt der Aufstand der obszönen Schatten das schmutzige kleine Geheimnis hinter dem Glamour und dem Flirt – oder auch die Beharrlichkeit gewisser alter Stiche, die Macht des de Sade’schen Tableau Vivant für die Initiation in die lebhaften Manipulationen des Eros. Selbst das bezauberndste Wesen braucht stereotype Modelle, um die Kunst der Verführung zu lernen, und das ist ziemlich riskant, denn Eros liebt nur das Einzigartige.

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wenn du dich inmitten einer swingerclub-orgie immer noch einsam fühlst, singt eros sein melancholisches lied. eros siegt, wenn nicht mehr ein mann eine frau oder eine frau einen mann verführt. eros will mehr: wie verführe ich eine welt?

17.10.2020

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

16.10.2020

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

15.10.2020

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

13.10.2020

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

10.04.2014

Concertgebouw Brugge, BE

28.10.2011

Dansens Hus, Stockholm, SE

21.10.2011

Norrlands Operan, Umea, Sweden

19.10.2011

Pustervik, Göteborg, Sweden

10.06.2011

Limmasol, Cyprus

08.06.2011

Nikosia, Cyprus

12.03.2011

New Territories, Glasgow

20.04.2010

Festival Kontrapunkt, Szczecin, PL

31.05.2009

MODAFE, Seoul, Korea

30.05.2009

MODAFE, Seoul, Korea

17.01.2009

Laboral Escena, Gijon, Spain

16.01.2009

Laboral Escena, Gijon, Spain

21.09.2008

Shanghai Dance Festival, China

20.09.2008

Shanghai Dance Festival, China

28.08.2008

Murska Sobota, Slovenia

10.08.2008

Halle E, Museumsquartier Wien, AT

31.05.2008

Cremona, IT

24.05.2008

Sommerszene Salzburg, AT

09.05.2008

Tanzhaus NRW, Düsseldorf, DE

03.05.2008

Orangerie Köln

02.05.2008

Orangerie Köln

17.11.2007

Tanzquartier Wien, AT

16.11.2007

Tanzquartier Wien, AT

11.08.2007

Semper Depot, Vienna, Austria

10.08.2007

Semper Depot, Vienna, Austria

08.08.2007

Semper Depot, Vienna, Austria

20.06.2007

Biennale di Venezia, Arsenale, Teatro Tese Delle Vergini, IT

19.06.2007

Biennale di Venezia, Arsenale, Teatro Tese Delle Vergini, IT

dates

Künstlerische Leitung und Choreografie: Chris Haring
Tanz und Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Alexander Gottfarb, Katharina Meves,
Anna Maria Nowak
Komposition, Sound: Andreas Berger
Dramaturgie, Licht: Thomas Jelinek
Produktion: Jessica Wyschka, Marlies Pucher
Bühnengestaltung, künstlerische Begleitung: Aldo Giannotti
Theorie: Katherina Zakravsky
Dank an Spielboden Dornbirn.

Premiere: 19. Juni 2007, Biennale di Venezia, Teatro Tese delle Vergini

Eine Koproduktion von Liquid Loft mit La Biennale di Venezia, ImPulsTanz Vienna International Festival und Tanzquartier Wien.

Mit freundlicher Unterstützung der MA7 Kulturabteilung der Stadt Wien und dem Bundesministerium für Unterricht, Kunst und Kultur

credits

der standard, 14.10.2020

Gegenwartscheck mit Liquid Loft: Einsamkeit der Selbstdarstellung / Helmut Ploebst

Mit dem bitter witzigen Stück „Posing Project B – The Art of Seduction“ rundet das Impulstanz-Festival seine Herbst-Edition im Odeon ab

Nach der Uraufführung ihres aktuellen Tanzstücks Blue Moon you saw nimmt die Wiener Company Liquid Loft ihr Publikum bei Impulstanz im Odeon mit in die Zukunft der Vergangenheit. Vor dreizehn Jahren haben die Gruppe und ihr Choreograf Chris Haring für Posing Project B – The Art of Seduction den Goldenen Löwen der Biennale di Venezia erhalten. Seit damals war das Stück unter anderem in England, Spanien, Schweden, China und Südkorea auf Tournee.

Aber wer in Wien weiß noch genau, wie diese Arbeit, die 2007 nach ihrer Premiere in der Lagunenstadt auch beim Impulstanz-Festival zu sehen war, funktioniert hat? Damals hieß es in der Jury-Begründung, diese Choreografie gebe einen Ausblick auf die Zukunft des zeitgenössischen Tanzes. Jetzt kann mit gutem Gewissen behauptet werden, das Morgen von damals ist angekommen. Wie wegweisend also war das Posing Project B tatsächlich?

Narzissmus als Kulturprinzip

Jetzt lassen Impulstanz und Liquid Loft es zum 15. „Geburtstag“ der Company wiederaufleben. In der freien Szene haben Reprisen einen so hohen Seltenheitswert, dass ihnen der Rang einer zweiten Premiere zukommt. Zu sehen ist nun also ein bemerkenswertes Beispiel österreichischer Choreografie, wie es in den Nullerjahren konzipiert wurde – an einem anderen Schauplatz, mit derselben, aber um dreizehn Jahre gereiften Besetzung und in verändertem kulturellen Umfeld.

Um es gleich zu sagen: Die Jury lag weitgehend richtig. Denn in den Zehnerjahren dieses jungen und alles andere als braven Jahrhunderts ist der im Stück liebevoll, aber gründlich verarschte Narzissmus zum verbreiteten Kulturprinzip geworden. Und aus dem einstigen, auch durch Social Media getriggerten Hang zum Posieren hat sich ein zuweilen neurotisch wirkender Zwang zur Selbstdarstellung entwickelt.

Brisantes Posen

Brisanter als 2007 wirkt heute etwa ein gockelhaftes Nacktposen-Solo von Alexander Gottfarb. Warum? Weil der Tänzer seine Körpermitte mit einem Kunstbuch bedeckt, das einen Ausschnitt aus Agnolo Bronzinos kurz vor 1550 entstandenem Gemälde Allegorie der Liebe zeigt, auf dem ein kleiner Cupido die schöne Venus küsst.

Jessas, ein Kind und eine ausgewachsene Frau! Ist das nicht eigentlich ein Aufruf zu …? Zur Erinnerung: Während der Nullerjahre wurde Kunst noch weniger mit Propaganda gleichgestellt. Überhaupt in Österreich, wo man ohnehin eher zu genießerischer Gelassenheit neigt. Möglicherweise wird hier auch die anschwellende ikonoklastische Cancel-Culture künftig nicht so heiß gegessen wie anderswo.

Bitternis statt Erfüllung

In Posing Project B – The Art of Seduction kommt eine unstillbare Sehnsucht nach Lust und Nähe zum Ausdruck. Tückischerweise bewirkt das Anwachsen dieses Begehrens das genaue Gegenteil von Erfüllung: Der große Sinnenschwulst wirkt von Beginn an mechanisch. Aus der Darstellung dieses Widerspruchs gewinnt die Performance ihre köstliche Ironie samt der damit einhergehenden Bitternis. Nach Gottfarbs Auftakt reihen sich grandiose Soloauftritte auch von Stephanie Cumming, Luke Baio, Katharina Meves und Anna Maria Nowak aneinander.

So eindringlich sich die fünf Figuren auch in Szene setzen, sie gleiten doch immer wieder in Leerläufe und Isolation ab. Schöne Erinnerungen werden geweckt, aber gleich wieder weggewischt. Und kaum wirft die Sinnenfreude ihre süßesten Blasen, platzt die Illusion, kippt die Stimmung, mischt sich schon etwas anderes ein. Die fünf Heldinnen und Helden geben trotzdem nicht auf. Bis zum Schluss.

tanzschrift, 14.10.2020

Ditta Rudle

Posing Project B“: Mit Witz und Erotik führt Chris Haring vor, wie man Welt und Partner verführt. Schamloser Flirt zum Playback. Tänzer als Schatten, musikalisch und real, beeindruckende Vexierspiele der Erotik von Liquid Loft. Alles was Chris Haring und seine Formation Liquid Loft ausmacht, ist im Kern vorhanden, die Präzision der Lippensynchronizität – noch ohne persönlichen Speaker als Begleiter, aber genügend klangfreundlich aufgestellte Lautsprecher –, die Stärke des Ausdrucks, die Klarheit des Inhalts, der Raum, aktuell der Säulen-Saal im Odeon, aus Licht, Klang und Bewegung.

Verführung ist Irreführung. Man setzt sich in Pose, will imponieren, modelliert und präsentiert den eigenen Körper, verbiegt und faltet ihn, maskiert und deformiert ihn, formt ihn neu, bis das Begehren erwacht und Eros sich ins Fäustchen lacht. „Posing Project“ nennt Chris Haring mit seiner Gruppe Liquid Loft die Serie von Aufführungen, die sich mit der Kunst der Selbstdarstellung, des Posierens und Beeindruckens beschäftigt. Im April 2007 wurde der erste Teil, „The Art of Wow“, uraufgeführt. Damals steckten die social media noch in den Kinderschuhen, Facebook war gerade mal drei Jahr alt, Twitter eines. Die Wiener Aufführungen haben im Semperdepot stattgefunden. Doch die Uraufführung von „Project B – The Art of Seduction“ war in Venedig, wo diese mit Witz präsentierte Verführungskunst im Juni bei der Tanzbiennale 2007 mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet worden ist. Direttore der Biennale Danza 2007 war Ismael Ivo, Gründungsmitglied von ImPulsTanz; in der Jury urteilte mit vielen anderen Andrée Valentin, lange Zeit künstlerische Beraterin des ImPulsTanz Festivals. Liquid Loft hat das Posing Project B eigens für das vorgegebene Thema der Biennale entwickelt: „body & eros“. Darum geht es doch immer.

Der internationale Ruhm von Liquid Loft liegt nicht nur an der präzisen und ernsthaften Arbeit Harings und seines Teams, sondern auch am intelligenten Humor und dem augenzwinkernden Kontakt mit dem Publikum in jeder Performance. In „The Art of Seduction“ wird sogar schamlos geflirtet. Die Tänzerinnen (Stephanie Cumming, Katharina Meves, Anna Maria Nowak) und zwei Tänzer (Luke Baio, Alexander Gottfarb) – damals wie heute – posieren in einem von Gründungsmitglied Andreas Berger kunstvoll gebauten Klangraum und beeindrucken durch die hohe Kunst des Playback-Gesangs. Henry Purcell und Lionel Richie geben die scheinbar harmlosen akustischen Regeln vor, Eisbärfell, Sofa und die Lichtkreise der Spots das optische Ambiente. Mit großer Lust wird entblättert und verhüllt, werden Hüften gerollt und Hinterteile gereckt, Blicke geworfen, Lippen gespitzt, Zungen geschnalzt , nicht vorhandene Bäuche bezeigt, lange Beine gestreckt und von anderen umschlungen, in perfektem Takt gehechelt und gekeucht, gegurrt, geschnurrt und gejapst – bis Eros sein perfides Werk vollenden kann und alle Hemmungen fallen.

Keine berührt den anderen, keiner die andere. Doch es sind nur Schatten an der Wand, die sich im orgiastischen Akt vergnügen. Die Realität, das Tableau vivant, zeigt ein ganz anderes Spiel. Keiner berührt den anderen, jeder ist allein. Irreführung der Verführung. Auch nach der Premiere; im Rahmen von ImPulsTanz im Odeon, machte sich die Begeisterung lautstark bemerkbar, und auch Vertreter*innen der Generation, die vor 13 Jahren noch auf der Schulbank gesessen sind, konnten keine Patina an diesem „Posing Project“ finden. Auch die Darsteller*innen, Tänzer*innen von höchstem Niveau, scheinen nicht gealtert zu sein.

Bei späteren Serien und Projekten war Haring nicht so klar und eindeutig, auf der mit Schaumwolken oder faulendem Obst vollgeräumten Bühne konkurrierten Videos und Bilder der Livekamera mit den Tänzerinnen. Erst im Jubiläumsstück „Blue Moon you saw …“ (Uraufführung am 6. Oktober 2020 im Odeon) hat Chris Haring mit dem Team wieder zu jener präzisen Klarheit und stupenden Schönheit gefunden, die auch „Posing Project B – The Art of Seduction“ auszeichnet.

tanz.at 19.10.2020

Von der Sehnsucht nach Wahrhaftigkeit / Rando Hannemann

Vor 15 Jahren gründete der österreichische Choreograf und Tänzer Chris Haring seine Kompanie Liquid Loft, die inzwischen zu einem weltweit gefeierten Aushängeschild des österreichischen zeitgenössischen Tanzes geworden ist. Bereits zwei Jahre nach ihrer Gründung heimsten Liquid Loft auf der Biennale in Venedig für ihr dort uraufgeführtes Stück „Posing Project B – The Art of Seduction“ einen Golden Löwen ein.

Im Rahmen der von ImPulsTanz ausgerichteten „Geburtstagsfeier“ war es nun noch einmal in Wien zu sehen.

Vier PerformerInnen simulieren, von weißen flauschigen Decken bedeckt und jeder für sich, stöhnend Kopulation, dabei a capella Lionel Richie’s „Hello“ singend. „Hello“ ruft einer noch den Anderen hinterher. Dann betritt Alexander Gottfarb, der mit Stephanie Cumming, Katharina Meves, Anna Maria Nowak und Luke Baio auch bereits die Uraufführung in Venedig tanzte, als erster Performer die weiße, säulengerahmte Bühne des Wiener Odeon. Nackt posiert er, sein Geschlecht stets verbergend hinter einem Bildband. Dessen Cover zeigt ein ebenfalls unbekleidetes Paar beim zärtlichen Liebkosen. Venus und Amor in dem Gemälde „Allegorie der Liebe“, gemalt von Bronzino, einem italienischen Maler des Manierismus des 16. Jahrhunderts. Die Show ist eröffnet.

Die Kunst der Verführung. Wer verführt wen wozu? Wer entführt wen wohin? Wozu führt das? Der Reigen an Maniriertheiten ist bunt, die Wege der Verführung mannigfaltig. Mit viel Erotik als dem alles durchdringenden Äther. Und als Waffe.

Barocke Hintergrund-Musik holt Puder und Perücken als imaginäre Co-Performer auf die Bühne. Das Ewig-Gleiche wandelt nur seine Erscheinung im Laufe der Zeiten. Harings Arbeiten kreisen um eben diesen Kern, dem Mäntelchen umgehängt werden aus Genusssucht und Völlerei, aus Missbrauch sozialer Medien zur Präsentation von wie Pflaster auf die wunde Seele geklebten Schein-Identitäten, und, in seinem jüngsten Stück „BLUE MOON you saw“, im Rahmen dieser Würdigung seitens ImPulsTanz uraufgeführt, aus zelebrierter, allen Zeiten und Räumen enthobener, konsolidierter Deformation.

Ein sich widerstandslos den scheinbar übermächtigen Normierungen ergebendes Subjekt wird zur Pose, zu Schwindel und Lüge. Wenn sie sich der in variablen Geschwindigkeiten eingespielten Sprache performativ angleichen, wird Anpassung zur Groteske. Wenn sie wie auf dem Catwalk, in kurzen Schleifen gefangen, ihre entstellten Oberflächen präsentieren. Die Fratzenhaftigkeit als das ins Körperliche drängende Selbstbild und ebenso als die Maskierung des Bedürfnisses, geliebt zu werden und, viel stärker noch, des Wunsches, sich selbst zu mögen oder gar zu lieben. Plüschdecken-verhüllte Sessel, auf dem sich die Damen räkeln, entpuppen sich als Männer. Nicht nur physisch Rahmen, Stütze, Halt. Quelle und Ziel weiblicher Begierden, männliche Anbetung und patriarchale Objektivierung zugleich. Mit ihren Schatten an der Wand spielen sie ins Absurde gesteigerte sexuelle Praktiken. Und Alexander Gottfarb singt dabei „I’m so lonely“. Sie liegen am Boden, dehnen ihre Tops wie eine sie erstickende Glasur.

Die reflexive Komponente all unserer Äußerungen, dass also das Ziel unserer Emissionen nie das Außen allein, sondern immer auch, und ganz wesentlich, wir selbst sind, übersetzt Chris Haring in treffende Bilder von teils verstörender Schönheit. Auch das so befriedigende Gefühl der Macht, Begehren zu wecken und diesem nach Belieben, und zur weiteren Steigerung der Lust, ein Körbchen zu schenken, würzt die Luft des Odeon.Was den Einzelnen krank macht, macht die Gesellschaft krank. Haring arbeitet die Verantwortung des Individuums für seine seelische Gesundheit und als deren Konsequenz für die der Gesellschaft heraus. Er verzichtet bewusst auf die Umkehr der Kausalitäten, die den Einzelnen entlasten und aus eben dieser Verantwortung entlassen würde. Deren Übersetzung in Verhalten verlangt, die aktuellen Ereignisse geben Chris Haring Recht, die Corona-Pandemie.

Angestaubt nach 13 Jahren? Mitnichten. Die in diesem Stück entwickelte tänzerisch-darstellerische und akustische Ästhetik und Stilistik, Musik und Sound von Andreas Berger unterstützen meisterlich, erwies sich in der nun möglichen Rückschau als wegweisend für das – bisherige – Schaffen von Chris Haring. Mehr noch. Das Sujet von Posing Project B weist auf das zentrale Thema Harings. Dieser überaus vergnügliche Jahrmarkt der Eitelkeiten, von einer brillanten Kompanie performt, ist nichts als ein trauriges Zerrbild der ins Physische gefallenen seelischen Pein eines selbst-entfremdeten Menschen. Man lacht, um nicht weinen zu müssen beim Blick in diesen Spiegel.

biennale dance
5th international festival of contemporary dance

Golden Lion for the Best Performance

Chris Haring
 with The Art of Seduction – Posing Project B, staged with Liquid Loft dance company, has been awarded the Golden Lion for the best performance of the 5th International Festival of Contemporary Dance directed by Ismael Ivo.

The work has been chosen by an international jury among the numerous performances presented during the Festival. The jury was composed of Ms Betsy Gregory, artistic director of Dance Umbrella –London’s International Festival of Contemporary Dance; Ms Jin Xing, artistic director of Jin Xing Dance Theatre and founder of Shanghai Dance, the International Dance Festival of Shanghai; Ms Francesca Pedroni, dance critic for the daily newspaper ‘il manifesto’ and the TV station ‘Classica’; Mr Pier Giacomo Cirella, deputy director of Arteven; Ms Andrée Valentin, artistic coordinator of ImPulsTanz -International Dance Festival (Vienna). The Art of Seduction – Posing Project B had its world premiere in Venice on June 19th at the Teatro Tese delle Vergini. It is the second chapter of the triptych about images and their seduction power.

In the prize motivation the jury says that «Chris Haring in The Art of Seduction – Posing Project B has found bright, original and multi-faceted solutions to addressing the theme of the Biennale, Body & Eros. Using irony, he has mirrored and transformed the public perception of eroticism into a piece which displays our ubiquitous contemporary taste for exhibiting bodies. It is an organic work combining sound, text, lighting, costume, setting and a dynamic rhythm of construction. The immediacy of the choreography and interpretation gets under the skin in a subtle and complex way. The Art of Seduction – Posing Project B expresses a fresh vision for the future of dance».

The awarding ceremony was held on Saturday June 30th 2007 at 9.00 p.m. at the Teatro Malibran in Venice. It was attended by Chris HaringAndreas Berger, Thomas Jelinek and Stephanie Cumming, founders of Liquid Loftdance group. The Golden Lion for the best performance, which proves how the dance world is vital again, was given by Ismael Ivo, the director of Biennale Dance Festival, and by Gaetano Guerci, the managing director of the Venice Biennale.

tanz.at 19.06.2007

Die Kunst der Verführung. Chris Haring & Liquid Loft beim Tanzfestival der Biennale von Venedig The Art of Seduction, Teatro Tese delleVergini, Venedig / Andrea Hein

„The Art of Seduction – Posing Project B“ nennt sich die neue Arbeit in Fortsetzung des “Posing Project A ( The Art of Wow)” von Chris Haring und seines Ensembles Liquid Loft. Österreich-Premiere ist am 12. August im Semper Depot; die Uraufführung der Koproduktion von „ImpulsTanz“ und Biennale fand bereits am 19. Juni im Arsenal von Venedig, im Teatro Tese delle Vergini statt: Den Jubel am Ende hat sich an erster Stelle Andreas Berger mit seinem phänomenalen Sound verdient, der den Witz und Esprit der Choreografie (Text von Katherina Zakravsky) formte und trug. Umgekehrt verstand es das blendend eingespielte Team die Musik für Glanzleistungen zu nutzen.

„Body&Eros“ war heuer das Motto des von Ismael Ivo geleiteten, vor allem der jungen Avantgarde verpflichteten Internationalen Tanzfestivals der Biennale (14. bis 30. Juni). Haring und seine Kreativ- PerformerInnen

(Stephanie CummingLuke BaioKatharina MevesAnna Maria NowakAlexander Gottfarb) bleiben auf skurril-humorvolle Art ganz eng am Thema: Mit raffinierten Kleiderspielchen geben sie sich gleich zu Beginn ganz sexy, schaffen damit Stereotypen, deren verlockende Posen allerdings nicht lange halten – Diven, Models usw. verzerren sich zu Karikaturen von Neid und Lust und Frust, die Hochglanzerotik krabbelt schließlich als animalischer Schatten an der Wand – so einfach, so witzig. Es beeindruckt die von den Interpreten wunderbar durchgehaltene Künstlichkeit der Choreografie, die wie gesagt durch den Berger-Soundmix aus Barockoper und heutigem Love Song nicht nur erhöht, sondern sich teilweise erst entfaltet. Gerade in Venedig denkt man an Divenkult, an den Wettstreit der großen Kastraten… Ein wieder sehr kompaktes Werk des stilistisch konsequenten Haring, das wohl auch bei „Impuls“ punkten wird.

Nach der Premiere wurde die Produktion als beste Performance des 5. Internationalen Festivals für zeitgenössischen Tanz bei der Biennale von Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

speciale cultura, 03.07.2007

A Chris Haring il Leone d’oro de la biennale di danza condtemporeanea di Venezia

È Chris Haring, con „The Art of Seduction – Posing Project B“, realizzato con la compagnia Liquid Loft, a vincere il Leone d’oro per il miglior spettacolo del 5. Festival Internazionale di Danza Contemporanea „Body&Eros“, diretto da Ismael Ivo e organizzato dalla Biennale di Venezia, presieduta da Davide Croff, dal 14 al 30 giugno scorsi. A scegliere Haring, fra le numerose rappresentazioni del 5. Festival, è stata una giuria internazionale composta da Betsy Gregory, direttrice artistica di Dance Umbrella – London’s International Festival of Contemporary Dance, Jin Xing, direttrice artistica di Jin Xing Dance Theatre e fondatrice di Shanghai Dance – Festival internazionale di danza di Shanghai, Francesca Pedroni, critico di danza per il quotidiano „il manifesto“ e per Classica TV, Pier Giacomo Cirella, vicedirettore Arteven, e Andrée Valentin, coordinatrice artistica di ImPulsTanz – Festival internazionale di danza (Vienna). „The Art of Seduction – Posing Project B“, secondo capitolo di un trittico sull’immagine e sul suo potere di seduzione, è stato presentato in prima mondiale a Venezia lo scorso 19 giugno alle Tese delle Vergini. Nella motivazione della giuria, „Chris Haring in The Art of Seduction – Posing Project B ha trovato soluzioni intelligenti e originali per lanciare uno sguardo a più prospettive sul tema della Biennale „Body&Eros“.

Con ironia ha rispecchiato e trasformato l’immaginario pubblico dell’erotismo, in un pezzo che comunica il gusto contemporaneo dell’esposizione del corpo. „The Art of Seduction – Posing Project B“ è un’opera organica nella quale il suono, il lavoro sui testi, le luci, i costumi, l’ambientazione, il ritmo dinamico del montaggio si sposano all’immediatezza della coreografia e dell’interpretazione“. E ancora: „Il pubblico fa corpo con i danzatori ed entra in relazione con il tema del pezzo attraverso una sottile percezione sottopelle della complessità dello spettacolo. „The Art of Seduction – Posing Project B“ esprime una visione fresca e innovativa per il futuro della danza“. La cerimonia di premiazione ha avuto luogo sabato sera, 30 giugno, presso il Teatro Malibran, alla presenza di Chris Haring e dei cofondatori della compagnia Liquid LoftAndreas BergerThomas Jelinek e Stephanie Cumming. Il Leone d’oro per il miglior spettacolo, testimonianza e auspicio di una rinnovata vitalità di tutta la danza, è stato consegnato loro dal direttore del settore Danza, Ismael Ivo, e dal direttore Generale della Biennale di Venezia, Gaetano Guerci. (aise)

kronen zeitung, 03.07.2007

„Goldener Löwe“ für einen Wiener / Karlheinz Roschitz

„Brillant, originell und reich in den Facetten der Bilder!“ So lobten die Juroren Chris Harings Tanzwerk „The Art of Seduction – Posing Project B.“, das nun beim V. Internationalen Festival für zeitgenössischen Tanz der Biennale von Venedig als beste Produktion mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde.

„Wir können auf Haring, die Produktion und die Auszeichnung stolz sein“, freut sich Karl Regensburger, künstlerischer Leiter des Wiener ImPuls Tanzfestivals. Er stellt Harings Arbeit mit Liquid Loft Dance am 8. und 10. August im Wiener Semper Depot vor. Ismael Ivo, Direktor der Tanz-Biennale und Künstlerischer Mentor bei ImPuls Tanz, hat als Motto für Venedig „Körper & Eros“ gewählt. Haring hat eine Geschichte um „die abgelenkten Pfeile des Eros, den Gesang der Sirenen, den Aufstand obszöner Schatten und die Melancholie im September“ mit Ironie zu einem Gesamtkunstwerk aus Klang, Text, Licht, Kostümen, Bühnenbildern und sehr dynamischer Rhythmik gemacht. „Eine frische Sicht auf die Zukunft des Tanzes“, urteilte begeistert die internationale Jury.

Haring, der erfolgreiche Choreograf und Tänzer, lebt in Wien, arbeitete mit DV 8 Physical Theatre, der Nikolais/Louis Dance Cie., Man Act, Nigel Charnock. In Hamburg, im Wiener Tanzquartier, bei ImPuls Tanz, aber auch in Asien, Australien und den USA sind seine Choreografien hochgeschätzt. Sein „Kind of Heroes“ wurde im Burgtheater, sein „Private Bodyshop“ im Tanzquartier mit Erfolg gezeigt und anlässlich der österreichischen EU-Präsidentschaft 2006 in Brüssel präsentiert.

theater journal portal.de, 04.07.2007

Goldener Löwe für Chris Haring in Venedig

Chris Haring hat von der Tanz Biennale in Vendig für sein Stück „The Art of Seduction – Posing B Project“ – aufgeführt mit der Compagnie Liquid Loft – den Goldenen Löwen für die beste Performance zuerkannt bekommen. Das 5. internationale Festival Zeitgenössischen Tanzes in Vendig fand unter der Leitung von Ismael Ivo statt. Die Jury (Betsy Gregory – Künstlerische Leitung Dance Umbrella – London’s International Festival of Contemporary Dance; Jin Xing, Künstlerische Leitung Jin Xing Dance Theatre und Gründer von International Dance Festival of Shanghai; Francesca Pedroni, Tanzkritikerin ‚Il Manifesto’ und TV station ‘Classica’; Pier Giacomo Cirella, stellvertretende Leitung Arteven; Andrée Valentin, Künstlerische Koordinatorin ImPulsTanz – Vienna International Dance Festival) begründete ihre Entscheidung folgendermaßen:

„Chris Haring in The Art of Seduction – Posing Project B has found bright, original and multi-faceted solutions to addressing the theme of the Biennale, Body Eros. Using irony, he has mirrored and transformed the public perception of eroticism into a piece which displays our ubiquitous contemporary taste for exhibiting bodies.

It is an organic work combining sound, text, lighting, costume, setting and a dynamic rhythm of construction. The immediacy of the choreography and interpretation gets under the skin in a subtle and complex way. The Art of Seduction – Posing Project B expresses a fresh vision for the future of dance“.

der standard, 31.07.2007

Tanzfest, Biennale von Venedig: Auszeichnung für Chris Haring. Zukunft des Körpers jenseits einer Diktatur von Klempnern / Helmut Ploebst

Die Umgebung für Chris Harings „Posing Project B“ ist verführerisch: Zwischen Kulisse und Kunst, eine subversive Modeausstellung und ein ironischer Blick auf den „Look“

Wer zur Mode geht, muss die Pose nicht lange suchen. Ein Highlight in dem Gemeinschaftsprojekt [cross+depot] von ImPulsTanz und dem Theater an der Wien im Atelierhaus der Akademie der bildenden Künste (einst bekannt als Semperdepot) ist die jüngste Arbeit des österreichischen Choreografen Chris Haring, Posing Project B – The Art of Seduction.

In diesem im Tanzfestival der Biennale di Venezia mit dem Goldenen Löwen ausgezeicheten Stück gelingt es Haring abermals, die Sciencefiction zu einer klempnerfreien Zone zu erklären. Während die gängigen Zukunftvisionen gespickt sind von Gen-, Nano- und Prothesentechnik, verhandelt der Künstler den Körper als kulturtechnisches Konstrukt. Das war auch schon in der Vorgängerproduktion, Posing Project A – The Art of Wow, deutlich zu lesen und dort Konsequenz einer langjährigen Untersuchung Harings und seiner Arbeitsgruppe liquid loft über den futuristischen Körper als Antipoden etwa zu Stelarcs Prothesenpathos und William Gibsons Cyberpunk-Visionen.

Wenn also, wie die Jury in Venedig bemerkte, das Posing Project einen Ausblick auf die Zukunft des zeitgenössischen Tanzes gibt, dann tut es das vor allem im Hinblick darauf, wie die multiindustrielle Verwertung des Körpers mit den Instrumenten der künstlerischen Live-Aktion (op)positioniert werden kann. Aus der Analyse der Pose und des „Wow!“-Effekts in der Spektakularisierung des Körpers folgt konsequent dessen Neupositionierung auch im Kunstkontext. Dort fallen seine ästhetischen Verwertungen als theatraler Lautsprecher, als visuelle Oberfläche oder bewegungsesoterischer L’art-pour-l’art-Fetisch – nicht erst mit Haring, aber in dessen Diskursen umso deutlicher.

corpus, 09.08.2007

Norma Jean Sedlmayr

Das Posieren ist eine Performancestrategie. Wer sich in Pose stellt, will ein bestimmtes Bild abgeben. Oder: wer in bestimmte Posen gezwungen wird, läßt Erniedrigungen über sich ergehen. So wird die Pose zum Gegenteil von Haltung, und genau darauf scheint Harings Choreografie hinzuweisen: daß, wo die Haltung fehlt, nur die Kunst wartet – im Sinne der bloßen medialen Handwerklichkeit -, die Erfüllung verspricht, um sie selbst nicht einzulösen. Daher verlieren die Tänzer bei „The Art of Seduction“ auch immer wieder ihre Stabilität, sie schmelzen, zerfließen und quellen über. Um dies darstellen zu können, bedarf es einer (politischen) Haltung, knöchern formuliert: eines Ethos, den die biofunktionale Liebe und die Pornografie nicht haben. Und was schon im „Posing Project A – the Art of WOW“ zu lesen war, kommt auch hier wieder deutlich zutage: herausgefordert wird die Haltung des Betrachters, seine Stellung und Position in und gegenüber der kulturellen und industriellen Wunschmaschine. Aber diese Herausforderung kommt nicht als Provokation, sondern als Geste der Einladung mit Anreizen, die aus den unheimlichen Signalen generiert werden, die der erotische Körper aus dem Gefängnis seiner Vermarktung und Unterdrückung sendet.

die presse, 09.08.2007

Schamloser Flirt zum Playback: „Posing Project“: Mit Witz und Erotik führt Chris Haring vor, wie man Welt und Partner verführt. / Ditta Rudle

Verführung ist Irreführung. Man setzt sich in Pose, will imponieren, modelliert und präsentiert den eigenen Körper, verbiegt und faltet ihn, maskiert und deformiert ihn, formt ihn neu, bis das Begehren erwacht und Eros sich ins Fäustchen lacht. „Posing Project“ nennt Chris Haring mit seiner Gruppe Liquid Loft eine Serie von Aufführungen, die sich mit der Kunst der Selbst-darstellung, des Posierens und Beeindruckens beschäftigt. Im Semper-Depot zeigt er bei „ImPulsTanz“ nach „The Art of Wow“ (Tanzquartier, April 2007) den zweiten Teil „Project B – the Art of Seduction“. In Venedig, wo diese mit Witz präsentierte Verführungskunst bei der diesjährigen Tanzbiennale uraufgeführt wurde, erhielt Liquid Loft den Goldenen Löwen. Die Verbindung von Tanz und (Klang-)Installation passte perfekt in den Themen-Rahmen des Festivals: „Body & Eros“. Darum geht es doch immer.

Die 2004 vom Tänzer Chris Haring gemeinsam mit dem Dramaturgen Thomas J. Jelinek, dem Musiker Andreas Berger und der Tänzerin Stephanie Cumming gegründete Compagnie Liquid Loft hat schnell auch internationale Anerkennung gewonnen. Das liegt nicht nur an der präzisen und ernsthaften Arbeit Harings und seines Teams sondern auch am intelligenten Humor und dem augenzwinkernden Kontakt mit dem Publikum in jeder Performance.

Diesmal wird sogar schamlos geflirtet. Die Tänzerinnen (Stephanie CummingKatharina MevesAnna Maia Novak) und zwei Tänzer (Luka BaioAlexander Gottfarb) posieren in einem von Berger kunstvoll gebauten Klangraum und beeindrucken durch die hohe Kunst des Playback-Gesangs. Henry Purcell und Lionel Richie geben die scheinbar harmlosen akustischen Regeln vor, Eisbärfell, Sofa und die Lichtkreise der Spots das optische Ambiente. Mit großer Lust wird entblättert und verhüllt, werden Hüften gerollt und Hinterteile gereckt, Blicke geworfen, Lippen gespitzt, Zungen geschnalzt und in perfektem Takt gehechelt und gekeucht, gegurrt, geschnurrt und gejapst – bis Eros sein perfides Werk vollenden kann und alle Hemmungen fallen.

Keiner berührt den anderen

Doch es sind nur Schatten an der Wand, die sich im orgiastischen Akt vergnügen. Die Realität, das Tableau vivant, zeigt ein ganz anderes Spiel. Keiner berührt den anderen, jeder ist allein. Irreführung der Verführung.

Sensationelle 98 Prozent Auslastung hat das ImpulsTanz-Festival heuer erreicht – zu Recht: Es überrascht diesmal nicht durch Spitzen oder Einbrüche, sondern durch ein gleichmäßig hohes Niveau.

wiener zeitung, 09.08.2007

ImPulsTanz: Mensch am Stiel
Bei der Tanzbiennale in Venedig erhielt „Posing Project“ den Goldenen Löwen – und ist jetzt in Wien zu sehen / Helene Kurz

In Chris Harings „The Art of Seduction“ werden die Persönlichkeiten wie Kleidungsstücke abgelegt – und raffinierte Täuschungsmanöver vollführt.

Heidi Klum tut es, Naomi Campbell auch. Und bei Paris Hilton sieht es komisch-grotesk aus. Die verführerische Pose ist das tägliche Brot eines jeden Models. Ein Augenaufschlag hier, eine aufforderndes Lächeln da. Die Pose ist jener Augenblick, in dem der Mensch innehält und sich ganz auf sein Gegenüber konzentriert. Bewegungen werden wie Eis am Stiel eingefroren und nach Belieben wieder aufgetaut.

Diese Verzögerungstaktiken nimmt der burgenländische Choreograph Chris Haring in seinen jüngsten Produktionen „Posing Project A+B“ unter die Lupe. Teil B, „The Art of Seduction“ (Die Kunst der Verführung), wurde bei der diesjährigen Tanzbiennale von Venedig von der internationalen Jury mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet.

Zu Recht gefeiert

Nun feierte die Performance im Rahmen des ImPulsTanz-Festivals im Semper Depot Österreichpremiere. Was Haring gekonnt aufgreift, ist Teil unseres Alltags: Ein jeder will sich von seiner Schokoladenseite zeigen und das Beste aus sich herausholen. Tarnen und Täuschen lautet die Devise. Nur nicht zu viel von sich preisgeben.

In „The Art of Seduction“ werden Persönlichkeiten wie Kleidungsstücke abgelegt. Durch ständiges An- und Umziehen schlüpfen die charismatischen und variationsreichen Tänzer (Luke BaioStephanie CummingAlexander GottfarbAnna Maria NowakKatharina Meves) in andere Rollen und vollführen raffinierte Täuschungsmanöver, die von Zeit zu Zeit ins Komische ausschlagen. Besonders die witzig-absurden Karaoke-Einlagen fördern die Bildung von Lachfältchen.

Chris Haring versteht es, das Spannungsfeld zwischen dunklem Geheimnis und vollkommener Offenbarung in seiner Choreografie umzusetzen. Der einzigartige Cocktail aus Musik, Klängen, Licht und Bewegungen fasziniert und wird zu Recht frenetisch vom Publikum gefeiert.

der standard, 10.08.2007

Allegorische Lustbewegungen: Chris Haring
Die bei der Biennale in Venedig ausgezeichnete Arbeit „Posing Project B – the Art of Seduction“ im Semper-Depot / Helmut Ploebst

Wien – Erstmals in Österreich zeigt Choreograf Chris Haring seine bei der Biennale in Venedig mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnete Arbeit „Posing Project B – the Art of Seduction“ bei ImPulsTanz im Semper-Depot. Wer aufgrund dieses Titels einen Crashkurs zur Optimierung des persönlichen Lamourhatschens erwartet, kommt jedoch auf eine etwas andere Rechnung. Denn das Wort „Kunst“ wird hier nicht im Sinne des Flirthandwerks verstanden, sondern als Zerlegung desselben an der Grenze zwischen körperlicher Anbahnung und kommerziellem Ausschlachten.

In dem Stück geht es gleich ans Eingemachte. Zu den populären Tönen von Lionel Ritchies „Hello“ führen die Tänzer unter weißen Fellen die bei allen Flirtaktivitäten antizipierten Beckenbewegungen vor. Während die Musik zu Klaus Nomi überleitet, posiert der Tänzer Alexander Gottfarb mit einem Kunstbuch vor seinem Geschlecht in einer Wandnische. Es zeigt einen Ausschnitt von Agnolo Bronzinos Gemälde Allegorie der Liebe aus der Mitte des 16. Jahrhunderts. Posen der Er- regung versprechen seit den Frühzeiten der erotischen Kunst bis zur künstlichen Erotik auf den Halbglanzseiten der Sex-Sells-Publizistik eindeutigen Genuss. Diese Versprechen jagt der Choreograf durch eine Raum-Körper-Sound-Maschine, aus der verfremdete Allegorien auf unsere Sexfantasien quellen. Fast alle stimmlichen Äußerungen der Darsteller kommen als Synchonisationen aus Lautsprechern. Stöhnen, Lachen und Singen winden sich um Statuen der Lust, die schamlos schön, aber stets konterkariert oder in Loops geworfen werden und sich zuweilen in Monstrositäten verwandeln.

Die Kostümierung verstärkt dieses Bild. Als Reminiszenz auf Harings frühere Zusammenarbeit mit Erwin Wurm kriechen diverse mutantenhafte Kleidungsstücke über die Körper der Tänzer wie Stoffamöben, die Barbapapahaft Turbane spielen oder Shirts und Röcke. Mit großer Feinheit gearbeitet, ist Andreas „Glim“ Bergers Sound- installation, in der akustische Verortung und tatsächliche Raumpositionen der Figuren getrennt werden, wodurch der Eindruck entsteht, die Tänzerinnen hinterließen feuchte Klangabdrücke im Raum.

Der Werbekörper

Parallel wird mit sich verschiebenden Tableaux vivants gearbeitet, die ein dramaturgisches Muster vorgeben, für das Duchamps berühmter, eine Treppe hinabsteigender Akt Modell gestanden haben könnte. Im Festival selbst kommuniziert Harings Projekt perfekt mit Christian Rizzos comme crâne comme culte und Doris Stelzers Reflexion über den Werbekörper „shifted views“. Wer dabei an Weibels kultigen Aufsatz über den anagrammatischen Körper denkt, liegt wohl nicht ganz falsch. Haring hat mit dieser Arbeit seine konsequente Spurensuche nach dem gefälschten Körper in den Bilderwäldern des Spektakels zu einer in diesem Sinn forensischen Kunst verfeinert.

frankfurter rundschau, 14.08.2007

Sylvia Staude

Nach detaillierten inhaltlichen Überlegungen erst scheint der Österreicher Chris Haring an eine neue Arbeit zu gehen. Seine „Art of Seduction“ – eine Kunst der Verführung, die auf der Venedig-Biennale mit dem Goldenen Löwen ausgezeichnet wurde – platziert die Darsteller in einen Rahmen größter Künstlichkeit, was etwa die schlaglichthafte Beleuchtung und das Unterlegen ihrer Aktionen mit Stimmen-Playback (Komposition und Ton: Andreas Berger) betrifft. Andererseits haben Haring und seine Tänzer genau hingesehen, wie alltägliche (und weniger alltägliche) Gesten und Posen der Verführung ablaufen, vom Hüftwackeln bis zum Pfeifen und Zungenschnalzen. Und kombinieren nun Zeichenhaftes mit Witz und Drastik, schon im Eingangsbild: da heben sich kleine weiße Flokati-Teppiche in eindeutig-zweideutigem Rhythmus.

kölner rundschau, 06.05.2008

Einfach viel zu verführerisch / Sandra Nuy

Großartige Choreografie: Wiener Chris Haring in der Orangerie

Verführung sei ein Kristallzustand reiner Herausforderung und ein unbegrenztes Spiel, so der französische Philosoph Jean Baudrillard. Dies gilt auch für die Choreografie „Posing Project B. The Art of Seduction“. Kunstvoll, spielerisch und zugleich ironisch verführen drei Tänzerinnen und zwei Tänzer das Publikum. Die preisgekrönte Produktion von Liquid Loft war auf Einladung der Reihe Tanzkonkret im Rahmen des NRW-Festivals „scene: österreich in nrw“ als Deutschlandpremiere in der Orangerie zu sehen.

Der Wiener Choreograf Chris Haring hat die Arbeit den speziellen Bedingungen des Ortes angepasst. Das Vorspiel beginnt im verträumten Garten der Orangerie. Nach und nach verschafft sich eine Klangcollage aus Musik und Text Gehör, dann ist Einlass in den großflächig mit Tanzboden ausgelegten Innenraum. Das Publikum verteilt sich an den Rändern. Derweil verlustieren sich die vier Performer in eindeutigen Posen mit noch eindeutigeren Geräuschen unter Flokatiteppichen. Ein gesungenes „Hello“ begrüßt schließlich einen nackten jungen Mann, der mit einem „Erotikon“-Band vor der Blöße den Raum durchschreitet. Die Tänzer flirten mit dem Publikum, versuchen sich in verschiedenen Posen, spielen mit sich und den anderen.

Die angekündigte Synthese aus Tanz und Installation erweist sich als Verbindung verschiedenster Künste von der Clownerie über das Musiktheater bis zum erotischen Schattenspiel. „Posing Projekt B“ ist auch ein exaktes Spiel mit technisch reproduziertem Ton. Was gesprochen wird, kommt von Band, die Performer sprechen lippensynchron mit – perfekt auch dann, wenn der Ton sich verlangsamt oder zu schnell abgespielt wird. Die Komik des Spiels im Spiel steht neben den wörtlich zu nehmenden Spotlights, die auf die Liebe geworfen werden: Aus fünf Strahlern werden immer neue (Licht-)Situationen gebaut, in denen selbstverliebte Eitelkeiten zur Schau gestellt werden oder auch Begegnungen stattfinden. Die Pose, oftmals narzisstisch, wird zum Mittel der Kommunikation. Ein gewispertes „Relax“ kündigt das Ende einer großartigen Vorstellung an, die zur Feier des Tages in ein kulinarisches Nachspiel im Garten mündet.

Verführung gelungen.

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