PHACE
„Wird sich die Fähigkeit, Bilder in Abwesenheit der Dinge heraufzubeschwören, noch in einer Menschheit entwickeln, die immer mehr von der Sintflut vorfabrizierter Bilder überschwemmt wird?“ Italo Calvino
1984 entwarf der italienische Schriftsteller Italo Calvino „Sechs Vorschläge für das neue Jahrtausend“. In den fünf fertiggestellten Essays bilden Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit eine Poetik, die man in sämtlichen Kunstsparten anwenden und auch auf Gesellschaft und Politik übertragen kann. Sie sind auch die thematische Grundlage für die Zusammenarbeit von Musiker*innen von PHACE mit dem Komponisten Arturo Fuentes, dem Choreografen Chris Haring und den Performer*innen von Liquid Loft, sowie Günter Brus, einem der radikalsten Vertreter des Wiener Aktionismus.
photos: m. loizenbauer, m. sepperer, c. haring
Calvino versteht z.B. Leichtigkeit als Reaktion auf die Schwere des Lebens und meint letztendlich eine Form der Narration, die den Dingen das Gewicht nimmt. Schnelligkeit interpretiert Calvino als „mentale Geschwindigkeit“, aber auch die „maximale Verdichtung der Poesie und des Denkens“. Genauigkeit ist das Instrument gegen eine „Pest der Sprache, die sich als Verlust von Unterscheidungsvermögen und Unmittelbarkeit ausdrückt als ein Automatismus, der dazu neigt, den Ausdruck auf die allgemeinsten, anonymsten und abstraktesten Formeln zu verflachen“.
Die „Vorschläge für das neue Jahrtausend“ sind auch die Grundlage für die Komposition von Arturo Fuentes. Der bildende Künstler Günter Brus liefert in dieser Inszenierung den ungeschrieben sechsten Teil.
Grace Note baut auf einem „Klangskript“ auf: alles, was auf der Bühne geschieht, wird in Form einer „akustischen Geschichte“ gedacht. PHACE und die Performer*innen der Company Liquid Loft interpretieren eine Musik, die sich in ständiger Bewegung befindet, einem harmonischen Regen gleich, der fragmentarisch auf die sich auf der Bühne befindenden Körper fällt. Musikalische und visuelle Szenarien werden kreiert, in denen eine Körperbewegung einen klanglichen Rhythmus brechen kann oder ein gezeichneter Strich eine Reihe von neuen Ereignissen bestimmen kann.
In dem spartenübergreifenden Projekt, das als Koproduktion mit dem Tanzquartier Wien und Wien Modern und in Zusammenarbeit mit dem ICST entstanden ist, bilden Performance und Installation, Akustik und Elektronik eine dynamische Struktur durch die Interaktion von Klang und Bewegung.
Komponist Arturo Fuentes sieht den menschlichen Körper als Klangkarte, in der sich verschiedene Rhythmen und Tempi kreuzen. Frei nach Günter Brus nennt er den visuellen und szenischen Kontext seiner Werke “Taube Musik”, “Akzentfreies Schweigen”, “Dunkelkammermusik” oder “Augenmusik”.
Living Positions / Odeon Vienna, AT
Concertgebouw Brugge, BE
Tanzquartier Wien, AT
Tanzquartier Wien, AT
Tanzquartier Wien, AT
dates
Idee und Musik: Arturo Fuentes
Musik: Lars Mlekusch (Saxophon), Berndt Thurner (Percussion), Roland Schueler (Cello), Maximilian Ölz (Kontrabass)
Tanz, Choreographie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Ian Garside / Dong Uk Kim, Hannah Timbrell
Choreographisches Konzept & Bühnendesign: Chris Haring
Künstlerische Leitung PHACE: Reinhard Fuchs
Text & Stimme, Künstlerische Begleitung: Günter Brus
Licht Design: Thomas Jelinek
Klangregie: Alfred Reiter
Klangregie Ambisonics: Johannes Schütt/ICST Zürich
Produktion PHACE: Markus Bruckner
Produktion Liquid Loft: Marlies Pucher
Originalzitate aus: Italo Calvino, Six Memos for a New Millenium (1988)
Eine Produktion von PHACE, in Koproduktion mit dem Tanzquartier Wien und Wien Modern in Zusammenarbeit mit dem Institut für Computer Music and Sound Technology Zürich und Liquid Loft.
Liquid Loft wird gefördert von der Kulturabteilung der Stadt Wien (MA7) und vom Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport (BMKÖS).
credits
tanznetz.de, 21.10.2022
Angeblich alt, aber heute noch besser / Andrea Amort
„Living Positions. Performing Arts Repertoire“ im Wiener Odeon mit zwei Wiederaufnahmen
„Grace Note“ von Chris Haring wird nach zehn Jahren wieder gezeigt.
In der Tat war genau die Umsetzung dieser Idee, wie sie nun von Choreograf Chris Haring und Odeon-Theater-Leiter Max Kaufmann in Wien propagiert wird, fällig: Das Wiederaufnehmen von länger zurückliegenden gehaltvollen Werken aus der freien Szene und solcherart das Eröffnen eines Repertoirespielbetriebs, der sich nicht verstecken muss, weil er eben „Altes“ anbietet. Abseits von Festivals. Was nicht heißen soll, dass bisher niemand markante Werke wiederaufgenommen hätte. Zuletzt war das etwa Bert Gstettner mit der Produktion „Time:Sailors“ aus den 1990er Jahren, die derzeit im Theater Dschungel für junges Publikum läuft. Seinerzeit wirkte da auch Haring mit. Und „Altes“ wiederaufnehmen heißt eben auch, sich neu mit dem Vergangenen befassen.
Während die Wiener Kulturpolitik mittlerweile auch (geringfügig) Geld für Wiederaufnahmen zur Verfügung stellt, ist die Künstler*innenschaft primär der Anforderung unterstellt, stets Neues zu schaffen um Förderungen zu erhalten. Haring und Kaufmann haben nun unter dem schönen Logo „Living Positions. Performing Arts Repertoire“ den Versuchsballon gestartet, in dem sie zwei Produktionen (bis 5. November) mit je drei Vorstellungen anbieten. Die Bezeichnungen „experimentell, genreübergreifend, provokant“ hat man dem Anforderungsprofil noch beigefügt. Aus dem wohl gar nicht kleinen Werkkatalog, würde man die letzten dreißig Jahre des Wiener Tanz- und Performance-Repertoires unter der Bezeichnung „Performances too good to go“ durchleuchten, zeigt Haring mit seinem Ensemble Liquid Loft „Grace Note“ aus dem Jahr 2012 und zieht damit einen Trumpf aus der Tasche. Ist doch genau dieser einstündige Konzert-Tanz, damals hochkarätig produziert u.a. vom Musik-Festival Wien Modern und dem Tanzquartier Beispiel einer heute wieder überzeugenden Kooperation mit dem Komponisten Arturo Fuentes, dem zeitgenössischen Musiker-Ensemble Phace und drei Tänzer*innen, dieses Mal Hannah Timbrell, Luke Baio und Dong Uk Kim.
Das auf Italo Calvino-Zitaten aus „Six Memos for a New Millenium” (1988) und den Titelbezeichnungen „Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit“ bauende Bühnenereignis verschmilzt präzise und humorvoll die Performativität von Musikern und Tanzenden auf Augenhöhe. Jeder für sich etabliert seinen physischen Spielort auf dem weißen Bühnenboden. Michael Krenn (Saxophon), Berndt Thurner (Percussion), Roland Schueller (Cello) und Maximilian Ölz (Kontrabass) setzen Fuentes‘ Material-Anweisungen wie Aufrufe zum performativen Dialog in den Raum und werden letztlich zu Mittänzern. Wie eigengesetzliche Transporteure der leichtfüßigen, selten geschichteten Klänge und Texte wirken Harings Performer*innen, die ihrerseits gegen Ende sitzend tanzen.
Wenn am Ende die Stimme des einst als Wiener Aktionisten bekannt gewordenen Günter Brus ertönt, der sich schrullig über das Phänomen Zeit auslässt, weiß man, dass man in Wien ist. Man darf es als Postskriptum hören. „Grace Note“ ist, nachdem nicht Aufhören wollenden Applaus des Publikums, definitiv eine Anwärterin auf noch mehr Abende als „nur drei“. Die Vorgabe des Hausherrn Max Kaufmann, Sohn des legendären Serapionsheater-Gründers Erwin Piplits und der genialischen Kostümkreateurin Ulrike Kaufmann, doch gern mindestens zwanzig und am besten hundert Vorstellungen zu spielen, wie es das Odeon-Ensemble gerne tut, um ein Stück eingespielt zu haben, klingt für den freien Tanz utopisch. Für die Wertschätzung gelungener Produktionen, die neues und altes Publikum (wieder-)sehen kann, mag man sich davon aber ein gutes Stück abschneiden.
kunstreflektor.at, 21.10.2022
Arturo Fuentes – Grace Note – Odeon Theater / Isabel Victoria
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe „Living Positions“ war der Komponist Arturo Fuentes am 20. Oktober mit „Grace Note“ im Odeon Theater zu Gast. Das Stück entstand in Zusammenarbeit mit dem Tanzensemble „Liquid Loft“, den Musikern von „Phace“ und dem bildenden Künstler Günter Brus.
Eine spartenübergreifende Poetik
Die Grundlage für „Grace Note“ ist Italo Calvinos „Sechs Vorschläge für das neue Jahrtausend“ aus dem Jahr 1985. In den fünf Essays bilden Leichtigkeit, Schnelligkeit oder Genauigkeit eine Poetik, die spartenübergreifend angewendet werden kann. Dies ist auch relevant für die Politik und Gesellschaft.
Abstrakte Formeln
Calvino verstand die Leichtigkeit als eine Antwort auf das Schwere des Lebens. Im weitesten Sinn wurde darunter eine Form der Narration gefasst, welche den Dingen an sich das Gewicht nehmen soll. Für Calvino ist Schnelligkeit eine „mentale Geschwindigkeit“. Und wie verhält es sich mit der Genauigkeit? Die bezeichnete der Schriftsteller als eine „Pest der Sprache“.
Musik sehen, Tanz hören
Auf die Bühne wird hier eine „akustische Geschichte“ gebracht. Die PerformerInnen interpretieren eine Musik, die sich in ständiger Bewegung befindet. Mit Mikrophonen, die über ihre Hautoberfläche gleiten, werden Klänge erzeugt. All dies gleicht einem Regen, der auf die tanzenden Körper fällt. Dabei entstehen musikalische und visuelle Szenarien, in denen Körperbewegungen einen Rhythmus durchbrechen können.
Fazit
„Grace Note“ ist eine außergewöhnliche Performance, die man so selten auf der Bühne sieht. Es verschmelzen Tanz, Theater, Musik und Gesang zu einem homogenen Ganzen. Instrumente erzeugen Gesang. Die Körper der TänzerInnen verwandeln sich gewissermaßen in Instrumente. Wir sehen Musik und hören den Tanz. Es ist eine perfekte Abstimmung zwischen den Musikern und den PerformerInnen zu sehen. Eine solches Stück sollte man gesehen und gehört haben.
die neue südtiroler tageszeitung, 21.09.2022
tageszeitung_21092022 / Heinrich Schwatzer
dolomiten, 21.09.2022
dolomiten 210922 / Margit Oberhammer
european cultural news, 01.11.2012
Die Zeit hat bei uns nur Urlaub gemacht / Michaela Preiner
Ist es möglich, komplexe Ideen in einem Tanzstück auf die Bühne zu bringen, an dem viele kreative Köpfe beteiligt waren, ohne dass sich ein einziger als Spiritus rector redlich hervortun darf? Grace note – als Uraufführung von Wien Modern am 31. Oktober aufgeführt – zeigt, dass dies tatsächlich funktioniert und ein rundes und beeindruckendes Ganzes ergibt, welches den verdorbenen Brei, der von vielen Köchen zubereitet wurde, Lügen straft. Das Ensemble Phace, der Komponist Arturo Fuentes, die Tanztruppe Liquid Loft, der Choreograf Chris Haring und Günter Brus, der in Österreich wohl nicht vorgestellt werden muss, bilden jene Mischung, aus der gelungene zeitgenössische Cross-over-Projekte entstehen können.
Menschen werden geboren, erschaffen sich ihren ganz persönlichen Zugang zur Welt, treiben ihre Späße und Kunst!, diskutieren, arbeiten und produzieren, bis sie diese Welt wieder verlassen – oder vielmehr das, was sie für ihre Welt gehalten haben. Basierend auf den “Sechs Vorschlägen für das neue Jahrtausend” von Italo Calvino, von denen jedoch nur fünf fertiggestellte Essays zustande kamen, komponierte der junge Arturo Fuentes eine einstündige Musik, die auch ohne Bühnengeschehen aufgeführt werden könnte. Fuentes, in Österreich kein Unbekannter mehr, hat heuer das österreichische Staatsstipendium für Komposition erhalten und agiert obendrein als diesjähriger composer in residence beim Ensemble Phase.
Für “grace note” entwarf er Klangteppiche der Unendlichkeit, entführt aber genauso in hektische frühindustrielle Zeiten – wenn er einem ansteigenden elektronischen Grundrauschen die Geräusche eines anfahrenden Zuges beimischt – oder unterstreicht die Artikulationen einer Sängerin ironisch mit Klarinettengeräuschen die Küsse imitieren, wie bei einem Play-back Grimassen unterstreichen oder lasziven Augenaufschlägen ihre beabsichtigte Wirkung konterkarieren. Neben all der subjektiven Auseinandersetzung mit Calvinos Text gibt es aber auch eine Erweiterung der angerissenen Fragestellungen, die sich jedoch ganz und gar nicht auf das Hier und Jetzt beziehen und dieses beleuchten. Vielmehr trägt Günter Brus mit einem von ihm selbst gesprochenen Text zur Erweiterung des Geschehens bei, indem er dieses von der zukünftigen Ewigkeit abkoppelt und einen kleinen philosophischen Exkurs zum Thema Zeit beisteuert.
Was ist Zeit – wo fängt sie an und wo hört sie auf? Ist es möglich, Zeit als etwas wahrzunehmen, das endlich ist? Zeit ist laut Brus etwas von Menschen Gemachtes und unsere Geschichte ist eine, die aus Legenden und Mythen, Märchen und Lügen konstruiert wurde. Nur die Kunst selbst, wie etwa eine Komposition, ist etwas Zeitloses, etwas, das bis ans Ende der Zeit und darüber hinaus hör- und fühlbar bleibt. Mit diesem Erlösungsversprechen setzt der österreichische Generalist unter den zeitgenössischen bildenden Künstlern einen Kontrapunkt zum wirbelnden Geschehen auf der Bühne, das von alltäglichen Wirrnissen des Lebens nur so strotzt, zugleich aber auch sehr einprägsame und wunderschöne Bilder vermittelt.
Einen musikalischen Höhepunkt liefert Roland Schueler, indem er sein Cello zu einem Percussionsinstrument verwandelt und ein Solo hinlegt, das einfach nur atemberaubend ist. Ab nun müsste er den Titel “Cellopercussionist” tragen, der ihm sehr gut stehen würde. Sein Saitenschlagen und -zupfen, das er nur mit seinen Fingern ausführt, ersetzt jeden Drumstick und seine Meisterschaft – seine spezielle Virtuosität – kann gar nicht explizit genug betont werden. Während Schueler mit seinem Cello nahe am Publikum sitzend sein Percussionfeuerwerk abbrennt, agieren im Hintergrund zwei Tänzer (Luke Baio und Ian Garside) mit einem meterlangen Kabel, das sie in Schwingungen bringen. Unter ihren geschickten Bewegungen erzeugen sie damit Sinus- und Cosinuskurven, flache Endlosschleifen oder ganz unregelmäßige Wellenbewegungen. Dieses auf der Bühne ungeliebte, aber technisch notwendige Utensil erhält unter ihrer Bearbeitung eine ganz neue ästhetische Komponente.
Die im Raum verteilten Instrumente, Sesseln und Mikrofone auf ihren Galgenständern, sind die einzigen Requisiten. Trotz dieser Kargheit genügt diese Ausstattung, die nur durch eine geschickt eingesetzte Beleuchtung einem atmosphärischen Wandel unterliegt, völllig. Stephanie Cumming, als einzige Frau agierend, belebt die Szenerie nicht nur wie ihre beiden Kollegen durch ihre tänzerischen Eingriffe, sondern stellt in einer Szene – in der ihr Gebaren, wie schon erwähnt, durch das Saxophon (Lars Mlekusch) akustisch unterstrichen wird – ihr komödiantisches Talent zur Schau. Gerade der beinahe ständige Wechsel zwischen intellektuell anspruchsvollen Passagen und solchen, in denen laut gelacht werden darf oder auch jenen, bei denen die Ästhetik des Bühnengeschehens im Vordergrund steht machen gemeinsam mit der klugen und zugleich packenden Musik den Reiz der Vorstellung aus.
“Die Zeit gehört vor ihrem Ende totgeschlagen” räsoniert Brus in einem seiner letzten Statements des Abends. Hoffen wir, dass sich ihr Mörder damit noch lange Zeit lassen.
die presse, 01.11.2012
Wien modern: Musik aus dem Fahrrad / Isabella Wallnhöfer
Arturo Fuentes lässt in seiner fantasievollen (Geräusch-)Komposition „Grace Note“ ein Rad, eine Schreibmaschine und Tänzerkörper erklingen. Es ist eine Komposition für Bühne, Instrumente und Körper.
Es beginnt im Chaos: Instrumente, Menschen, Kabel, ein Rad liegen hingeworfen auf dem Bühnenboden, als hätte sie der Sturm umgefegt, dessen letzte Regentropfen noch zu hören sind. Doch das Durcheinander lichtet sich rasch, Tänzer und Musiker erheben sich, um Arturo Fuentes‘ fantasievolle (Geräusch-)Komposition „Grace Note“ uraufzuführen. Die Speichen des auf den Sattel gestellten Fahrrads klicken und sirren, die rhythmischen Stöße mit der Brust gegen die Mikrofone erzeugen dumpfe Schläge, ein Blatt Papier entlockt den Cello-Saiten kratzende Geräusche und das Schlagzeug klingt wie eine Kreissäge. Es ist eine Komposition für Bühne (Günter Brus), Instrumente (Phace) und Körper (Choreografie: Chris Haring), in der immer ein anderes Medium den Ton angibt.
Sind es einmal die Schläge auf den Kontrabass oder das Trommeln auf dem Cello, die die Körper mitreißen und wie Marionetten zu bewegen scheinen, geben in anderen Sequenzen die Tänzer den Ton und den Takt an. Sie reden und flüstern, gestikulieren, lassen die Mikros knisternd und kratzend über ihre Körper gleiten und sind damit Teil dieses merkwürdigen Orchesters, das dem Holz, dem Metall, der Haut, der Atemluft faszinierende Klänge entlockt: So werden alle Körper, ob lebend oder nicht, zu Instrumenten.
Spartenübergreifend spannend
„Wird sich die Fähigkeit, Bilder in Abwesenheit der Dinge heraufzubeschwören, noch in einer Menschheit entwickeln, die immer mehr von der Sintflut vorfabrizierter Bilder überschwemmt wird?“, schrieb der Dichter Italo Calvino. Fuentes hat sich von dessen Essays über Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit für sein spartenübergreifendes Projekt inspirieren lassen. Ein performativ wie musikalisch spannender Abend.
kleine zeitung, 01.11.2012
25. Wien modern: „Grace Note“- Uraufführung
Es ist ein Schlachtfeld aus Notenständern, Instrumenten und schließlich auch Akteuren. Doch aus diesem Endzeitbild wird sich innerhalb der nächsten Stunde ein supramediales Musikereignis schälen, das Tanz, Performance und Klang vereint: Am Mittwochabend hat mit „Grace Note“ die erste große Uraufführung der heurigen Wien-Modern-Jubiläumsausgabe im Museumsquartier ihre bejubelte Premiere gefeiert.
Der mexikanische Komponist Arturo Fuentes hat gemeinsam mit dem österreichischen Choreografen Chris Haring und dem Künstler Günter Brus als Bühnenbildner ein Werk geschaffen, in dem mal die Bewegung den Takt vorgibt, mal der Takt der Musik die Bewegung. Als thematischer Bogen dienen fünf Essays des italienischen Dichters Italo Calvino über Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit.
Innerhalb dieser fünf Szenen entspinnt sich ein gleichberechtigtes Wechselspiel zwischen den vier Musikern des Ensembles Phace und Harings dreiköpfiger Performancegruppe Liquid Loft. Während die Musiker nebst ihrer angestammten Instrumente Cello, Kontrabass, Perkussion und Saxofon auch Schreibmaschine oder Fahrrad zum Klangkörper umfunktionalisieren, nehmen die Tänzer die ihnen zugespielten Bälle auf.
Im poetischen Reigen mit Mikrofonen erzeugen die Performer Geräusche, während das Cello als Perkussionsinstrument von den Musikern gleichsam zweckentfremdet eingesetzt wird. Streckenweise imitieren die Instrumente die Stimmen der Tänzer, die wiederum die meist vorantreibenden Klänge ihrer Spielpartner in Körperbewegungen modulieren.
Alles ist Klang, alles Reaktion aufeinander, Interaktion miteinander, während vom Tonband Regen prasselt und Geräuschbilder evoziert werden, die an eine LP denken lassen, bei welcher der Greifarm ans Ende gelangt ist. Durch die Splittung in fünf thematische Blöcke entsteht kein monolithisches Werk, sondern ein stetig im Fluss befindlicher Abend der Gleichzeitigkeit von Verschiedenem – „ein performatives Konzert“, wie es Choreograph Chris Haring nennt.
der standard, 01.11.2012
„Die Zeit gehört totgeschlagen!“ / Helmut Ploebst
Es knattert im Tanzquartier: „Grace Note“ – eine vielschichtige Arbeit zur Zeit.
Uraufführung des Tanz- und Musikstücks „Grace Note“ im Tanzquartier Wien
Wien – Die Idee einer notwendigen Leichtigkeit in der Vermittlung gewichtiger Dinge ist eine Grundlage für das Tanz- und Musikstück Grace Note, das noch bis Samstag in der Halle G des Museumsquartiers zu sehen ist. Für diese Koproduktion von Wien Modern und Tanzquartier Wien haben vier österreichische Künstlergrößen zusammengearbeitet: der aus Mexiko immigrierte Komponist Arturo Fuentes, das zeitgenössische Musikensemble Phace, der Choreograf Chris Haring und der Ex-Aktionist Günter Brus.
Leichtigkeit heißt hier nicht die Auflösung von allem in den Krachmaschinen der Unterhaltungsindustrie. Sie ist vielmehr im Sinn des auf Kuba geborenen italienischen Schriftstellers Italo Calvino gemeint, der nach seinem Tod 1985 eine unvollendete Vorlesungsreihe unter dem Titel Sechs Vorschläge für das neue Jahrtausend hinterlassen hat.
Auf Deutsch sind die Essays vor kurzem im Fischer-Verlag wieder erschienen. Darin ist die Forderung nach Leichtigkeit in der Literatur neben jenen nach Schnelligkeit, Genauigkeit, Vielschichtigkeit und Haltbarkeit formuliert.
Einige dieser Eigenschaften haben das Stück Grace Note beeinflusst. Sie erscheinen eher als Tugenden der Krise und der Rückversicherung als solche des Ausprobierens und Neuland Entdeckens. Die Eighties waren eine Umbruchszeit, und die Gegenwart trägt auch alle Anzeichen einer solchen. Arturo Fuentes drängt seine Musik einmal fein und poetisch, dann brüchig bis tief vibrierend in die krisensensibilisierten Gefühlslagen des Auditoriums.
Anfangs liegen Musiker, Tänzer und Instrumente in einem Durcheinander auf dem Boden. Nur langsam wird aufgestanden und zum Rauschen von Regen Ordnung gemacht. Ein Musiker dreht an den Pedalen eines umgedrehten Fahrrads, hält ein Plastikplättchen in die Speichen. Es knattert. Die Tänzer lassen ihre Oberkörper mit ausgebreiteten Armen rhythmisch gegen Mikrofone stoßen. Ein stummer Schrei. Atemgeräusche, Flüstern, Wortegeratter. Auszüge aus Calvinos Texten sind zu hören, aber kaum zu verstehen.
Zweifel entsteht, und er wird sich nicht mehr auflösen. Bei allem Witz, wenn die drei Tänzer zur Musik hampeln, wenn ein Saxofon die Stimme von Stephanie Cumming ersetzt oder wie bei einem Comic auch noch die Geräusche ihrer Bewegungen nachahmt und karikiert. Laut gesprochene Gedanken zur Welt im Ganzen, Seilspringen und Schreibmaschinenklappern. Etwas ironisch der Satz: Wie sehr die Dinge einander beeinflussen!
Stechendes Licht
Eine bedrohliche Szene leitet das Ende ein. Aus der Bühne stechen zwei Scheinwerfer ins Publikum. Die Musik lässt die Tribünensessel vibrieren. Am Schluss kräftige Worte von Günter Brus aus den Lautsprecherboxen: Wie die Zeit ein Erbe der Vergangenheit und wie die Historie eine Lüge ist, die von uns fortgesetzt wird. Nichts sei bibelfest, und auch der Koran eine Sammlung von Märchen. Zuletzt: „Die Zeit gehört vor ihrem Ende totgeschlagen.“
Darin liegt ein deutlicher Protest. Obwohl Grace Note keine Neuerungen bietet, hat diese konzise, genaue und vielschichtige Arbeit eine Kraft, der sich das Publikum nicht entzog. Begeisterter Applaus nach der Uraufführung.
tanz.at, 01.11.2012
PHACE & Liquid Loft | Veronika Krenn
Konzert für Augen und Ohren. Im Ohr sanftes Regenprasseln und vor den Augen eine wie vom Sturm verwehte Bühne, auf der Menschen, umgestürzte Notenständer, Musikinstrumente, ein Fahrrad, ein Tisch und eine Schreibmaschine wie nach einer Schlacht durcheinandergewirbelt liegen geblieben sind. So eröffnet das szenisch performative Konzert des Ensemble Phace seine Uraufführung „Grace Note“ im Rahmen des 25. Festivals für Musik der Gegenwart „Wien Modern“.
Gemeinsam mit einem internationalen Künstlerteam, bestehend aus dem mexikanischen Komponisten Arturo Fuentes, dem österreichischen Choreografen Chris Haring/Liquid Loft und dem bildenden Künstler Günter Brus wurde ein akustisches und visuelles Klangbad und ein Gesamtkunstwerk geschaffen: aus instrumentalem gepaart mit elektronischem Klang, Bewegung, Tanz, Licht und Text. Die mitwirkenden Künstler lassen einander Raum zum Agieren und zum Reagieren und bringen sich in ihren Besonderheiten ein, ohne einander gegenseitig zu beschneiden.
Nach und nach „erwachen“ die auf der Bühne hingestreckt liegenden drei TänzerInnen (Stephanie Cumming, Ian Garside, Luke Baio) und Musiker (Saxophon: Lars Mlekusch, Cello: Roland Schueler, Kontrabass: Maximilian Ölz) zum Leben. Berndt Thurner (Percussion) gibt zuerst den Takt an, indem er den Hinterreifen eines Fahrrades mit Mikrofon verstärkt und die Speichen in der Drehbewegung bearbeitet und „zum Klingen“ bringt. Dann springt der Funke der Dynamik auf einen der Tänzer über. Er streckt seine Arme zur Seite und dehnt seinen Körper weit nach vorne, bis er mit seinem Brustkorb an das Mikrofon vor seinem Körper stößt und Technik und Körper so den Beat „anschlagen“ (Klangregie: Alfred Reiter und Klangregie Ambisonics: Johannes Schütt/ICST Zürich). Einer nach dem anderen gesellt sich zu der experimentierfreudigen Runde, die von Aktionen und Reaktionen zwischen Sound- und Musikmachenden und TänzerInnen bestimmt ist.
Gegenseitige Durchdringung. Mal geben die TänzerInnen den Ton an: Sie streichen mit den Mikrofonen über ihren Körper, sodass ihre Bewegungen hörbar werden. Dann bewegen sie sich geräuschlos, sie geben stumme Schreie von sich, die einer der Musiker aufgreift und mit dem Saxophon oder dem Cello entsprechend „vertont“. Manchmal übernimmt einer der Musiker die Führung und gibt etwas vor, was die anderen aufnehmen und in die Sprache der Bewegung übersetzen. So werden Töne in räumliche Verhältnisse transkribiert und Körperzustände in Töne oder Musik übersetzt. Geräusche und Klänge erfahren eine Verbildlichung auf der Bühne.
Arturo Fuentes hat sich bei seiner Komposition auf die 1984 von dem italienischen Schriftsteller Italo Calvino verfassten „Sechs Vorschläge für das neue Jahrtausend“ gestützt, von denen dieser allerdings nur fünf zu Lebzeiten fertig stellen konnte. Die auf Literatur bezogenen Essays – Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit – werden bei „Grace Note“ in nur lose strukturierten Episoden auf Musik und Bewegung übertragen. Wobei ein Anschwellen der Soundkulisse und die darauffolgende ebenso mächtige Stille, die einzelnen „Kapitel“ abschließen und ein neues einleiten. Den sechsten, abschließenden – nicht von Italo Calvino verfassten – Teil steuerte Günter Brus mit einem Text über Zeit bei, der das Schlusswort der Aufführung bildete. Er nennt dabei die Historie eine von uns fortgesetzte Lüge und spricht davon, dass die Zeit „bei uns eine Zeit lang Urlaub gemacht“ habe. Musik sei für ihn „zeitlos und endlich“, aber das Echo davon hör- und fühlbar. Das Publikumsecho auf diesen Abend jedenfalls war ein heftiger Applaus für ein hervorragendes Ensemble.
wiener zeitung, 02.11.2012
Agiles Wechselspiel mit Klang-Körpern / Christina Köpp
Ein Blick auf die offene Bühne: eine Szenerie der Unordnung. Herumliegende Instrumente, umgefallene Notenständer, selbst ein altes Fahrrad spickt ein Wirrwarr, in dem sich nach und nach Personen positionieren – dann kommt hier Bewegung ins Spiel.
Hier, das ist das Tanzquartier Wien, in dem die Performance „grace note“ debütierte. Das Stück fußt auf fünf Essays von Italo Calvino, die Vorschläge für das neue Jahrtausend beinhalten: Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit sollen eine Poesie befördern, die in allen Kunstsparten anwendbar und auch auf Gesellschaft und Politik übertragbar sei.
Diese Inhalte werden von den Performern (drei Tänzern, vier Musikern) sowohl akustisch als auch bewegungstechnisch vorgetragen. Klang, der Bewegung interpretiert, Bewegungen, die Klänge erzeugen: Es ist ein Spiel aus Reaktion und Interaktion. Die Hauptrolle spielt allerdings die Musik – wobei man besser von Klang- und Geräuschakrobatik spricht. Der mexikanische Komponist Arturo Fuentes versucht, seine Töne so einzusetzen, dass sie für das Auge wahrnehmbar werden. Dabei ergeben sich witzige Episoden: Wenn etwa das Saxofon tonreich umsetzt, was die Tänzerin pantomimisch am Bühnenrand auszudrücken versucht. Der Corpus der Performer mutiert nachgerade zum Klang-Körper.
Ein leiser Versuch
Kreiert wurde dieses Wechselspiel vom zeitgenössischen Musikensemble Phace und einer Gruppe renommierter Künstler: Neben Fuentes wirken der österreichische Choreograf Chris Haring (Leiter der Kompanie Liquid Loft) mit sowie der legendäre Aktionist Günter Brus. Ein spartenübergreifender Versuch, der vom Publikum zuletzt positiv aufgenommen wurde – auch wenn er wohl zu leise war, um Calvinos Ansatz zu verstehen.
tanz.at, 20.10.2012
Vorschau / Ditta Rudle
Ein „performatives Konzert“ nennt Chris Haring die Produktion des Ensembles PHACE in Zusammenarbeit mit dem Komponisten Arturo Fuentes und der Tanzcompany Liquid Loft im Rahmen des Festivals Wien Modern. Inspiriert von der letzten Vortragsreihe des italienischen Dichters Italo Calvino – „6 Vorschläge für das neue Jahrtausend“ – hat Fuentes, zur Zeit Composer in Residence bei PHACE, ein musikalisches Script geschrieben, von dem ausgehend das Stück „Grace Note“ gemeinsam erarbeitet wird.
Die Bühne ist ein geordnetes Chaos, voller Klanginstrumente. Eine Schreibmaschine ist dabei, sie klappert und ein Fahrrad, dessen Speichen sirren können, und auch allerlei selbst Gebasteltes. Doch ebenso werden aus dem Konzertsaal bekannte Instrumente gespielt (Cello, Roland Schueler; Bass, Maximilian Ölz; Saxophon, Lars Mlekusch; Percussion, Berndt Thurner), wie auch elektronisch erzeugte Geräusche für Rhythmus und Sound sorgen, wenn das Ensemble PHACE (im Kern aus zehn MusikerInnen bestehend) den Ton angibt. Der Ton, richtiger der auf- und abschwellenden Klang, komponiert von Arturo Fuentes, ist das Muster für die TänzerInnen, deren Bewegungen mitunter auch von den Musikern kopiert und ergänzt werden.
Wenn Bass, Cello und Baritonsaxophon schweigen, saust ein akustischer Windstoß den TänzerInnen (Stefanie Cummings, Luke Baio, Ian Garside) entgegen und sie erstarren in der Bewegung, Arme und Hände strecken sich dem Geräusch entgegen. Der letzte sausende Ton wirft sie zu Boden. Abrupt wird es dunkel. Die Drei tragen Notenständer herbei, stellen sich auf wie für einen Vortrag, machen leise und rhythmisch murmelnd ihre eigene Musik und mit kleinen Leuchtstangen ihr eigenes Licht. Mit ausgebreiteten Armen, nahezu fliegend, geben sie sich später wieder der Musik hin, die Musiker mitten darunter und auch eine Männerstimme macht Musik, spricht über die Zeit, die vergeht und die Kunst die ewig bleibt, wenn auch manchmal nur als Echo.
Ob das so Gesehene auch so zu sehen sein wird, ist nicht sicher, sind doch Christ Haring / Liquid Loft, Arturo Fuentes, PHACE und auch der bildende Künstler und Bild-Dichter Günther Brus noch in der Probenphase für „Grace Note“. Wenn sie in drei Tagen die Bühne der Halle G bespielen werden, kann der Prozess erst richtig zu Ende geführt werden. Der Titel des Stückes aus Klang, Bewegung, Licht und Bühne ist übrigens eine Anspielung auf die Inspirationsquelle, hat doch Calvino nur fünf der geplanten sechs Essays schreiben können, bevor er 1985 gestorben ist. „Grace Note“, erklärt Fuentes, „ist die Vorschlagnote, die vor dem Hauptton angespielt wird und wir machen hier den Vorschlag für den fehlenden letzten Teil.“ Doch für das Publikum ist natürlich diese gerade im Entstehen begriffene „grace note“ (die übrigens immer verkleinert und durchgestrichen auf dem Notenblatt steht) die Hauptnote. Ein in sich verschlungenes Wortspiel also, das auch ein Licht auf Fuentes’ plastische, verschlungene und doch gut strukturierte Komposition wirft.
Verschlungen ist auch die Arbeitsweise der Mitwirkenden. Alles ist mit allem und alle sind mit allen verwoben. Die Musik bedingt die Bewegung und die Bewegungen verändern die Musik, die Musiker bewegen sich (mehr als im üblichen Konzert) und die TänzerInnen machen mit dem Körper und der Stimme Musik. Fuentes lobt die Musikalität der drei Bewegungskünstlerinnen und Chris Haring lacht, weil ich ihn frage, ob er Noten lesen könne. „Ich komme von der Musik über den Tanz zur Choreografie. Ich habe ja Musik studiert.“ Günther Brus steht im Programm als für das „Bühnenbild“ verantwortlich, doch ist er genauso in den gesamten Entstehungsprozess eingebunden wie Haring / Liquid Loft, Fuentes, die Musiker und die TänzerInnen. Der 75jährige Künstler trägt mehr zur Gesamtwirkung der Produktion bei als bemalte Wände. Oder vielleicht gerade diese nicht.
„Das Schöne ist“, freut sich Haring, „dass Arturo zwar das Konzept gemacht und als Grundlage ein Script geliefert hat, aber für alles offen ist. Die Bewegungen sind dazu gekommen und plötzlich war alles ganz anders.“ Drei Monate hat Fuentes mit den Musikern probiert und geprobt, bis das Konzept Gestalt angenommen hat. Dann erst hat die Konversation mit mit Haring und den Mitwirkenden (Liquid Loft) begonnen und das Projekt Gestalt angenommen.
Noch als der 1975 in Mexico City geborene Fuentes in Mailand studierte, ist er mit den Texten von Calvino vertraut geworden. Die Begriffe, die der Italiener seinen Vorträgen (für Literaturstudenten) zuordnete, haben den jungen Komponisten an die Sprache der Musiker erinnert: „Leichtigkeit, Schnelligkeit, Genauigkeit, Anschaulichkeit und Vielschichtigkeit, diese Bezeichnungen gebrauche ich auch in der Musik, aber sie implizieren ebenso das Gegenteil. Schnelligkeit kann nur in Relation zur Langsamkeit festgestellt werden, Leichtigkeit gibt es nicht ohne Schwere.“ Chris Haring haben die Begriffe gleichwohl an den Tanz erinnert: „Das sind unsere Vokabel, damit arbeiten wir.“ So war man sich von Beginn an einig. Die fünf Termini wurden zur thematischen Grundlage für die Produktion. Doch wer sie sucht, wird sie nicht so leicht finden, es gibt keine Kapitelüberschriften, kein plakatives Schnell oder Leicht, Calvino ist lediglich die unsichtbare Quelle. Nur die Genauigkeit, die ist seit je ein Arbeitsprinzip von Liquid Loft. Und die Bewegung, die kennzeichnet das gesamte Projekt. Alles fließt.
interview fuentes / haring
Interview mit dem Komponisten Arturo Fuentes und Chris Haring
zu den Proben von Grace Note (von Reinhard Fuchs)