posing project C
„…and the vision that was planted in my brain still remains within the sound of silence“ (simon & garfunkel)
Die Premiere des dritten Teils vollendet das Posing Project und bildete mit der Aufführung der gesamten Trilogie auch gleichzeitig den Abschluss des ImPulsTanz Vienna Int. Festivals 2008.
photos: m. loizenbauer
In The Art of Garfunkel wird letztendlich auch der Zuschauer zum Performer und steht seinen staunenden, künstlichen Betrachtern gegenüber.
Zwischen den kurzlebigen Überbietungsstrategien für fünf Minuten Ruhm und der wiederholten Erfüllung anonymer Erwartungshaltungen kehrt der Poseur schließlich zurück zur reinen, zeitlosen Zerrissenheit seiner selbst. Wie viele Körper braucht es um in all diese Rollen zu schlüpfen?
Die stillen Poseure sind am Ende ihre einzigen Betrachter.
Halle E, Museumsquartier Wien, AT
dates
tanzjournal
Chris Haring/Liquid Loft, Trilogie „Posing Project“, A The Art of Wow; B The Art of Seduction; C The Art of Garfunkel: Komplexität und Oberfläche / Irmela Kästner
Der Pose unterstellt der Tanz gern Oberflächlichkeit. Die allerdings nur Teil der Wahrheit ist. Denn worauf gründet sich schließlich die Unmittelbarkeit, mit der sie zu uns spricht, mit der sie uns berührt. Der österreichische Choreograf Chris Haring hat über die Pose die Kommunikationsstruktur des Körper erforscht und ihr mit seinem „Posing Project“ gleich eine Trilogie gewidmet, die mit der Uraufführung des abschließenden Teils, der Videoinstallation „The Art of Garfunkel“, bei ImPulsTanz in Wien erstmalig in ihrer Gesamtheit aufgeführt wurde.
Dabei interessiert Haring neben der Psychologie seit jeher der von der Technik durchdrungene Körper unseres Medienzeitalters – und damit verbunden genau jene Komplexität von Oberflächlichkeit. Diese zerlegt er, beziehungsweise die fünf großartigen Protagonisten seiner Compagnie Liquid Loft, bricht sie, setzt sie neu zusammen, schleift sie nochmals nach, reduziert auf eine Linie, auf einen Augenaufschlag. Gesten, und dazu Laute lösen sich von diesen Körper, verselbstständigen sich, springen von dem einen auf den anderen über, treten den Beweis an, dass allein in der Flüchtigkeit der Pose sich ihr Versprechen offenbart.
Analog zur Verflüchtigung des Körpers, spielt der Titel des letzten Teils ironisch auf den „Sound of Silence“ an, auf den Klang der Stille. Denn „Posing Project“ lebt von einem Wechselspiel von Bewegung und Sound in der kongenialen Zusammenarbeit mit dem Komponisten Andreas Berger. Die exponierte Haltung einer Hand, die Biegung eines Rückens, die Linie des Halses, je reduzierter je unmittelbarer erregen sie Aufmerksamkeit. Worte, Laute in Mikrophone geplappert, gehaucht, gegluckst, geschrien, werden von Lautsprechern, die über die Spielfläche verteilt von der Decke schwingen, in den Raum hinaus geschickt. Zwischendurch ein aufflackerndes Verlegenheitslachen, den Kopf in den Nacken geworfen. „The Art of Wow“ meint die Kunst des Augenblicks, wenn alles zur richtigen Zeit am richtigen Ort ist. Hier wird er aufs Absurdeste ausgereizt. Und wenn das Publikum zum zweiten Teil zurückkehrt, unter den pendelnden Boxen hindurch, hat sich das konzentrierte „Wow“ in einem umherschwirrendes Echo von Botschaften aufgelöst.
„Posing Project“ ist ein hybrides Objekt zwischen Tanz, Musik, bildender Kunst. Mehr Installation als Choreographie. Und sind auch erotische Signale allgegenwärtiges Thema, so geht es in „The Art of Seduction“, für das Haring im vergangenen Jahr mit dem Goldenen Löwen der Venedig Biennale ausgezeichnet wurde, unter Schaffellen eindeutig zur Sache. Vier mechanisch auf und nieder federnde Fellhügel unter denen Beine hervor lugen und stöhnende Laute zu vernehmen sind. Der Mensch umarmt einen Lautsprecher, erregt sich am eigenen Lustgeschrei. Und ist dem Tier in ihm ganz nah. Auch hier wieder minutiös analysierte Studien von Bewegung, eine aufgeblasene Brust, ein keck in den Nacken geworfenen Kopf, komisch und tragisch zugleich in der einsamen und zähnefletschend gierigen Sehnsucht von Lust und Begehren.
Hybride Daseinsformen von Körper haben Haring seit jeher interessiert. In „Vivisector“ zerlegte er zusammen mit dem Komponisten und Videokünstler Klaus Obermaier den Menschen in tanzende Pixel. Bild über Bild, Körper über Körper hatten die beiden zuvor in ihrem Welterfolg „D.A.V.E.“ geschichtet. In „Fremdkörper“ verschob Haring bereits die Schnittstelle von bildlicher und körperlicher Realität in die Bewegung des Körpers hinein. Den Begriff Cyborg führte er in seine Kunst ein, als ein politisches Konzept vom vielfältig fremd infizierten Kulturwesen Mensch, das sich selbst reguliert und erneuert, dessen Zukunft Utopie und Verhängnis zugleich verspricht. Beine, Bauch und Kopf, verteilt auf drei übereinander gestapelte Monitore, zusammengesetzt aus verschiedenen Körpern, gibt sich der Mensch in „The Art of Garfunkel“ schließlich dem Abbild seiner Zerrissenheit hin. Nichts ist mehr am richtigen Platz, als wäre das die eigentliche Bestimmung.
Sicher ein Zufall und dennoch bemerkenswert, dass das Museum für Angewandte Kunst (MAK) Wien zur gleichen Zeit eine Ausstellung des britischen Künstler Julien Opie, ein Warhol des digitalen Zeitalters, zeigte, der wie kaum ein anderer die menschliche Figur so beunruhigend berührend auf ein paar am Computer generierte Linien zu reduzieren vermag. Und wenn die phänomenale Tänzerin Stephanie Cumming den Pullover über das Gesicht zieht, und der Kopf am Ende ihres zum Fragezeichen gebogenen Rücken zur Kugel wird, dann ergeben sich verblüffende Ähnlichkeiten zu den Kunstgestalten des Briten. Es ist die Repräsentation der Repräsentation, die in der stilisierten Überzeichnung von Rollenbildern und Klischees, deren Versprechen einmal mehr entlarvt.
Und manchmal erscheint der Choreograph Chris Haring dann wie ein Puppenspieler, ein zeitgenössischer Coppélius, der mit Witz und Hingabe an der Anmut des Tanzes bastelt, an der Überwindung des Körpers ohne die Menschlichkeit dabei preiszugeben. Zuletzt repräsentierte sein Tanz sogar Österreich bei der Expo in Zaragoza, ausgestellt in einer Schneekugel, einer Wiener Erfindung am Ende des 19. Jahrhunderts.
die presse, 11.08.2008
Impulstanz: Das Intimste ausgeleuchtet / best
Fast wie fliegen: Chris Harings dreiteiliges „Posing Project“
Ob der Mensch wohl fliegen kann? Der Autor Douglas Adams meinte einst: Er kann! Er müsse sich nur auf die Erde werfen – aber knapp daneben! In Chris Harings „The Art of Wow“ versucht Tänzer Luke Baio etwas Ähnliches: All jene, die bisher versucht hätten, ihren Körper zum Schweben zu bringen, meint er, hätten den Körper als ein Ganzes betrachtet. Doch fliegen gehe anders! Ein Körperteil nach dem anderen, das sei das Rezept: Erst den Kopf, dann den Arm, dann den Fuß. Oder erst den Fuß, dann den Hintern? Und weil er Tänzer ist und kein Autor, führt er uns gleich vor, wie das aussehen könnte – so konzentriert, dass wir fast vergessen, dass er scheitern muss.
Die Muskeln spielen lassen
Dieser Versuch zu schweben steht am Ende des ersten Teiles eines dreiteiligen Abends: „The Art of Wow“ zeigt Frauen, die hübsch fein ihre Hüfte ausstellen und dabei doch wie ferngesteuert wirken, weil die Bewegungen von Arm und Bein, von Hüfte und Schulter nicht zusammenpassen wollen. Männer, die im Wortsinn die Muskeln spielen lassen und nur knappe Worte finden: „Absolut.“ „Ja.“ „Hm.“ Komisch! Vor allem, wenn all dieses In-die-Brust-Gewerfe im Schimpansengequäke endet.
„The Art of Seduction“, 2007 mit dem Goldenen Löwen für das beste Tanzstück der Biennale in Venedig ausgezeichnet, ist der zweite Teil: Haring leuchtet Intimstes aus – und zwar wörtlich: Standlampen werfen grelle Schlaglichter auf jene, die sich gerade entäußern. „The Art of Wow“ und „The Art of Seduction“ wurden bei Impulstanz schon gezeigt. „The Art of Garfunkel“ ist neu: In kleinen Gruppen werden die Zuschauer auf die Bühne geführt, wo noch die Requisiten herumliegen, bereit zur Verwendung durch ein spielwütiges Publikum, das in der Folge ausgelassen tanzt, die Gliedmaßen verdreht, sich Felle über den Kopf wirft und wie die Tänzer zuvor kopulierende Bewegungen ausführt… Und das alles in der Hoffnung auf die fünf Minuten Ruhm, die ihm im Programmheft versprochen wurden! Das passiert natürlich nicht. Was zu erwarten war. Jetzt ist die Frage, wer schuld ist.
Ach ja: Unser Tänzer mit den hochfliegenden Träumen hat am Ende doch noch Erfolg. Und zwar: Er hüpft! So leicht wirkt das und auch so fröhlich: Irgendwie ist es fast wie fliegen.
der standard, 12.08.2008
Die Ironie der Gurke Bei ImPulsTanz schneidet die „junge“ Choreografie besser ab als das Establishment / Helmut Ploebst
(gekürzt)
Wien – Wenn das ImPulsTanz-Festival diese Woche mit einer Trilogie und einer Installation des österreichischen Choreografen Chris Haring zu Ende geht, dann tut es das mit einer durchaus positiven künstlerischen Bilanz. Mehr fünf Wochen lang konnte sich das Wiener Publikum ein Bild davon machen, wie sich die zeitgenössische Choreografie heute positioniert.
Haring und seine Gruppe liquid loft zeigen noch bis heute in der Halle E des Museumsquartiers alle drei Teile ihres Posing Project. Der dritte Part („The Art of Garfunkel“) wird dabei als Uraufführung präsentiert. Hier sind die fünf beteiligten Tänzer nicht mehr live zu sehen, sondern in Form von medialen Stelen aus je drei Monitoren, die aus den Körpern der Darsteller Anagramme formulieren: Köpfe, Torsi und Beine erscheinen in immer neuen Kombinationen.
Was im ersten Teil mit Paraphrasen auf Taktiken von Selbstinszenierung und Imponiergehabe („The Art of Wow“) beginnt und zu den Klischees von Verführung und Erotik („The Art of Seduction“) überleitet, hat bei liquid loft nachhaltige Konsequenzen. Das Trauma, beständig eine „gute Performance“ liefern zu müssen, lässt den Menschen in seiner Inszenierung verschwinden. Mit treffsicherer Ironie zeigt liquid loft die Farce des Pseudo-Individualismus auf, die in der Gesellschaft des Spektakels forciert wird.
tanz.at
Liquid Loft / Chris Haring setzen mit „The Art of Garfunkel“ und der Installation „Sound of Silence“ den Festival-Schlusspunkt. Posing Project, ImPulsTanz im Museumsquartier und im project space / Ditta Rudle
Wer sind wir? Wo sitzt das Ich? Im Kopf oder im Bauch oder im Geschlechtsorgan? Unangenehme Fragen, die den Stoff für einen Gruselfilm abgeben. Oder die Karten für ein Kinderspiel. In drei Teile geteilt, werden sie durcheinander gemischt, damit der König den Kopf eines Krokodils tragen darf und der Kasperl ein Kleid über den Beinen der Gretel. Chris Haringerzielt diesen Effekt im vierten und letzten Teil des „Posing Projects“, der Installation „Sound of Silence“, mit einer Videoinstallation. Gruselig und lächerlich, und eine Gelegenheit für allerlei Assoziationen. Aus fünf Monitortürmen (in drei Bildschirme geteilt), blicken uns sonderbare Wesen an, biegen und drehen sich, setzen sich in Positur. Still ist es keineswegs im Raum der Installation „Sound of Silence“, die meisten Köpfe brabbeln unentwegt , philosophieren, behaupten, erzählen. Verstehen muss man nichts, die konstruierten Bilder von dekonstruierten Menschen sprechen für sich selbst. Darf über die verrutschten, verschobenen, verrenkten, verdrehten und ungewöhnlich zusammengesetzten Körper gelacht werden? Ich kann nicht anders.
Doch je länger ich in Gesellschaft der fremdartigen Menschen bin, die keinem Geschlecht zuzuordnen sind, desto mehr packt mich Melancholie. Was hier als Videospielerei erscheint, die Dekonstruktion und Neuzusammensetzung des Homo sapiens, erscheint so abwegig nicht. Ein Verwirrspiel der Natur, eine winzige Unegelmäßigkeit in der Eizelle, konfuse Chromosome, hormonelle Variationen – so fern der Realität sind die posierenden Figuren auf den Monitoren nicht. Doch Menschen sind sie eindeutig, nicht nur weil Harings Team („Liquid Loft“) die Köpfe und Gesichter von Persönlichkeiten der ImPulsTanz-Szene auf die Körper der am Posing Project teilnehmenden TänzerInnen gesetzt hat, sondern auch weil sie die äußeren (Geschlechts-) Merkmale eines Menschen zeigen. Sie rollen die Augen, öffnen den Mund, gestikulieren, manchmal sind Kopf, Torso und Gliedmassen in nahezu perfekter Harmonie, dann driften die drei Teile wieder auseinander, vorne ist hinten und der Kopf nickt dazu.
Aber vielleicht schwirren meine Gedanken in allzu absurde Gefilde und Liquid Loft / Chris Haring wollten einfach die Idee mit den gedrittelten Körpern zur Unterhaltung der Besucherinnen spielen. Schon im dritten Teil (nach „The Art of Wow“ und „The Art of Seduction“) der choreografierten Posen, „The Art of Garfunkel“, waren die Monitortürme aufgestellt, allerdings wurde das Spiel nur mit den Tanzenden (Luke Baio, Stephanie Cumming, Alexander Gottfarb, Katharina Meves, Anna Maria Novak) gezeigt. Sie selbst hatten den Schauplatz dem Publikum überlassen, nur noch die Videobilder waren als verwirrender Abdruck vorhanden.
Vielleicht sollte sich das Publikum jetzt, nach dem die beiden ersten Teile der Kunst des Posierens an einem Abend kompakt über den Laufsteg gegangen waren, selbst in Positur werfen. Die Schweinwerfer waren eingeschaltet, das Eisbärenfell lag bereit, doch die allein gelassenen PoseurInnen standen ratlos umher, nutzten nicht die Gelegenheit, sich mit frei gelegtem Bauchnabel selbst darzustellen, einmal Künstlerin zu sein. Auch wenn die echten KünstlerInnen (also die, die von der Kunst leben) immer wieder die vierte Wand niederreißen und das Publikum auf ihre Seite zerren wollen, bleibt die Trennung bestehen. Ihr dort zeigt her eure Körper, wir hier schauen zu. Und das, bei einer durch mehrere Aufführungen (auch im Ausland) perfektionierten Darbietungen, mit größtem Gewinn und Vergnügen.