lost in freaky evolution_L.I.F.E

lost in freaky evolution_L.I.F.E. is the newest stage piece by Liquid Loft after living in funny eternity_L.I.F.E. –  in an ongoing project in which the performers create and move in a hybrid world between stage performance and live video. A wide field of associations opens up. An array of psycho-happenings, identity and concealment spectacles, visions of the future, and ultimately questions of evolution are played out in dance and film.

From the grotesqueness of immeasurable time, we now move on to a heart-forming odyssey which takes place at an enraptured pace and with bizarre humor. But life, for all its cheerfulness, is also a tale of loss and a fantasy. That’s life! C’est la vie! And: La vida es sueño! Are we just dreaming all this?

In lost in freaky evolution_, the human body, reassuring itself of its existence through dance, resists with relish the negative spaces of a seamlessly networked world, the expansion of the data zone. But do we “really” exist, or do we only appear as phantasms in the unsteady gaze of a camera that we point at ourselves (and each other) in a selfie-ish manner? A dark narrative, derived from kaleidoscopic images and intense colour production, is hidden under the fragile layer of ambiguous gestures, all the fragments of language and sound. Only those who dare to explore the secret passages of life can hope to reach the next station. The Evolution will not be televised!

Dates: Premiere Nov 30th
Shows: Dec 1st + Dec 2nd

01/12/2023 - 02/12/2023

Tanzquartier Wien, AT

30/11/2023 (premiere)

Tanzquartier Wien, AT

dates

Dance, Choreography: Luke Baio, Dong Uk Kim, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Hannah Timbrell
Artistic Direction, Choreography: Chris Haring
Composition, Sound Concept: Andreas Berger
Light Design, Scenography: Thomas Jelinek
Theory, Text: Stefan Grissemann, Lyrics: Sophie Reyer
Stage Management: Roman Harrer
Companie Management/ Production: Cornelia Lehner
Videodocumentation: Michael Loizenbauer
Costumes: Stefan Röhrle
Distribution: APROPIC – Line Rousseau, Marion Gauvent, Lara van Lookeren

A co-production of CCAM / Scène Nationale de Vandœuvre and Liquid Loft in cooperation with Tqw und ImPulsTanz Vienna International Dance Festival
Liquid Loft is supported by the Cultural Department of the City of Vienna (MA 7) and the Austrian Federal Ministry of Arts and Culture, Civil Service and Sport (BMKOES)

credits

DerStandard, 1. Dezember 2023
Helmut Ploebst

Wiener Tanzquartier
Liquid Loft entführen in die Spiegelwelt der Digitalität

Die Wiener Company unter ihrem Choreografen Chris Haring thematisiert die Tücken des globalen Posthumanismus

Kaum zu glauben: Was noch vor zwei Jahrzehnten als ultimativ progressives Computernetz-Mirakel erschien, zeigt heute immer deutlicher seine grottenkonservative Fratze. In unserer desillusionierenden Gegenwart platzt die Scheinwelt des Hurra-Digitalismus von gestern wie in Zeitlupe auf. Die renommierte Wiener Company Liquid Loft unter ihrem Choreografen Chris Haring beschäftigt sich bereits seit ihrer Gründung 2005 mit den Zugriffen des digitalen Monsters auf den menschlichen Körper. Wohin sich Liquid Lofts konsequent vorangetriebenes künstlerisches Projekt aktuell bewegt, macht die Uraufführung von Lost in freaky evolution, dem zweiten Teil einer im Sommer bei Impulstanz gestarteten Serie mit dem Titel “L.I.F.E.”, gerade im Tanzquartier Wien deutlich.

Bei Lost in freaky evolution führen fünf Figuren in ihrer magischen Spiegelwelt vor, wie geil sich unsere digitale Selbstkolonisierung anfühlt: als Rausch des Narzissmus, als Tanz des selbstverliebten Egos, als unablässiges Plappern und Auf- und Abtauchen im Schillern kalter Bildschirme. Mit ironischer Offenherzigkeit wird hier jenes Psychodrama ausgebreitet, das die körperfeindlichen Ideologien des Trans- und (technologischen) Posthumanismus als unendlichen Spaß abfeiern.

Toxische soziale Medien

Das globale Hineinfallen auf die Verlockungen der toxischen “sozialen” Medien kommt bunt und paillettenglitzernd daher. Eine Unheimlichkeit, die grenzenlose Freiheit vorgaukelt. Liquid Loft spielt dieses Unheimliche verzerrt in Spiegeltrichtern vor, die erst einmal spektakulär aussehen, in ihren variantenreichen Wiederholungen aber zunehmend makaber anmuten. Lost in freaky evolution ist zwar ein – gezieltes – Recycling von Elementen aus früheren Arbeiten, doch in diesem neuen Stück sind die Dramaturgie, das Timing, der Einsatz von Live-Projektionen unvergleichlich meisterhaft umgesetzt.

Sicherer als je zuvor bewegen sich Hannah Timbrell, Anna Maria Nowak, Luke Baio, Dong Uk Kim und Dante Murillo in ihrer Halluzinationsblase. Darin schmeichelt und knistert Andreas Bergers Sound. Von diesem Zauber wird das Publikum sowohl eingelullt als auch für das Unfassbare sensibilisiert: dass wir allesamt Gefangene und Sklaven ausbeuterischer Technik-Freaks geworden sind, die mit ihrer trickreichen Übernahme unserer Evolution Milliarden machen.

Lost in freaky evolution perlt auf der Oberfläche dieses Triumphs und hinterlässt darauf ein paar dystopische Schlieren. Mehr macht keinen Sinn. Denn wer hat schon auf die zahllosen Warnungen vor dem Technikfetisch seit, sagen wir, Stanley Kubricks 2001: A Space Odyssey von 1968 gehört? Richtig, die Technik-Freaks. Ihnen ist es gelungen, die einschlägige Aufklärung in ein beinhart optimistisches Geschäftsmodell umzupolen. Angesichts dieses Liquid-Loft-Stücks dämmert uns das alles einmal mehr. Aber solcher Dämmer ist halt immer noch kein Durchblick.

 

TQW newsblog, 1. Dezember 2023
Thomas Edlinger

KONNEX TRENNUNG

Am Rechner, wieder einmal. Musik läuft. Nobody here heißt das geisterhafte Stück von Oneohtrix Point Never. Es lässt ein Sample aus dem alten Chris-de-Burgh-Schmachtfetzen Lady in Red in Dauerschleife laufen. Das Video dazu zeigt die Fahrt auf einer digital billig animierten Straße, die auf ein simuliertes Stadtzentrum zuläuft und sich alle paar Sekunden neu zentriert. Auf der Road to Nowhere, das wussten schon die Talking Heads, kommt man nie ans Ziel. Das Mikrogenre, dem solche Musik zugerechnet wird, nennt sich Vaporwave. Es ist ein Geschöpf des Internets – eine psychedelisch orientierte Musik, die popkulturelle Erinnerungsfetzen fetischistisch auflädt, mit extremen Zeitdehnungen arbeitet und damit auch bizarren Verfremdungsreizen den Boden bereitet: So werden etwa Songs von Radiohead oder Lady Gaga um 800 bis 1.600 Prozent verlangsamt und anschließend als Ambient-Readymades ins Netz gestellt.

Auch in Liquid Lofts neuer Bühnenkreation lost in freaky evolution_L.I.F.E., dem zweiten Teil des fortlaufenden L.I.F.E.-Zyklus, weiß das auf fünf Personen abgespeckte Ensemble nicht wirklich, wohin die Reise geht. Aus dem Gemurmel, das auf den weitgehend ungefilterten Aufzeichnungen von Probengesprächen und Internetfunden von Selbstdarsteller*innen basiert (und wie meist bei Liquid Loft von den Performer*innen auf der Bühne lippensynchronisiert wird), schält sich ein Satz heraus: „He went to places he has never been to before.“

Dort, wo man noch nie war, glitzern die Oberkörperoutfits im Retro-Glam-Stil. Das Licht leuchtet weiß, rot, blau und grün auf eine Bühne, die nach und nach bevölkert wird. Die beiden in stumpfem Winkel zueinander ausgerichteten Projektionswände werden mit Live-Bildern von zwei mobilen Minikameras gespeist, die ihr visuelles Material aus dem Spiel des Ensembles mit den davor in immer neue Stellungen gebrachten PVC-Spiegelfolien gewinnen. Mithilfe der technischen Transformation entstehen so visuell wandelbare Konstellationen jenseits naturalistischer Repräsentationen. Gleichzeitig bekunden reale Körper in Verrenkungen und anderen Nöten ihre „natürliche“ Grundlage, eine unter digitalen Bedingungen prekär gewordene Präsenz. Nur weil es Medien gibt, die zaubern können, gibt es diese eigentümliche Erfahrung von freigestellter und für den Blick des Publikums nachvollziehbarer Verfremdung. Die künstlerische Intelligenz der technisch simplen und von Liquid Loft in den jüngsten Stücken doch so raffiniert eingesetzten Kombination von Kamerabildern und Spiegelfolien schafft imaginäre Bilder, die sich vor dem Erfindungsreichtum künstlicher Intelligenz nicht verstecken muss.

In diesem Setting finden und verlieren sich Körper, die ins Nichts greifen, die Leere umarmen und einen Paartanz ohne Gegenüber andeuten. Die existenzielle Verlorenheit der Gesten, der Mangel an Responsivität, also an befriedigenden Antwortmöglichkeiten und gelingenden Weltbezügen, grundiert lost in freaky evolution_ – selbst wenn choreografisch immer wieder brüchige Beziehungen zwischen den einzelnen Performer*innen gestiftet werden. Ein Wirbel, ein Strudel, der manchmal eine erratische Sogkraft zu entwickeln scheint – ähnlich wie in Science-Fiction-Filmen, die den Blick auf die Finsternis und Schwerelosigkeit des Weltalls im Rücken der taumelnden Protagonist*innen lenken. Das Stück geht von der zunehmenden Präsenz eines Phänomens aus, das Roberto Simanowski die Alltagsdominanz der „Smombies“ (oder in der Langform „Smartphone-Zombies“) nennt. Diese Smombies sind wir selbst: Wesen, die nicht mehr zwischen Körper und Technologie, Bewusstsein und Netzwerk unterscheiden wollen, können oder müssen. Wir alle sind Influencer*innen oder Influencer-Beobachter*innen, die in einem endlosen Jetzt der Netzwerkteilhabe leben und die differenzierte Raumwahrnehmung verlieren, weil alles gleich weit weg erscheint – alles nur einen Link, einen Post, eine Google-Suche entfernt.

Liquid Loft gestaltet diesen Bedeutungsverlust analoger Raum- und Zeiterfahrungen als ambivalenten Zustand, in dem sich der „Inforg“, der informationelle Organismus, jenseits von Affirmation, aber auch jenseits von Kritik an den Verhältnissen zu bewegen scheint. Die Geschwätzigkeit der „Däumlinge“ des Internets (Michel Serres) bekommt genauso ihren Auftritt wie über den Kopf gestülpte Spiegelfolien, die dem Daten-Ich Flügel verleihen könnten, oder Projektionen einsamer Köpfe, die von ihren Körpern getrennt erscheinen. In den sich stetig wandelnden, teils traumwandlerischen Szenen entstehen Räume, die illusionär und desillusionierend zugleich wirken, in denen die Banalität von Fragen wie „Are you recording?“ ebenso verhandelt wird wie die existenzielle Frage nach dem Status von Wirklichkeit und Gewissheit. In sich beinahe wiederholenden, nur leicht variierten Abläufen stecken Köpfe in zu Hundetrichtern geformten Spiegelfolien fest – und sehen zugleich wie durch ein Wurmloch in eine andere, nicht zu begreifende Dimension. Dort wartet zerstäubte, feingliedrige Musik, die sich manchmal zum Zerrbild von Unterhaltung verbiegt, dann wieder verdichtet und hochgepitcht wird zu enervierendem Hyperpop – oder auch abgebremst zu tiefgelegten Alien-Sounds.

Roberto Simanowski schrieb die Liner-Notes zu dieser Bühnenarbeit über die erzwungene und zugleich genossene Anpassung an die Realität des Virtuellen, ohne den Zusammenhang zu Stück und Musik zu kennen: „Man ist schon verschwunden, wenn man noch da ist. Smombies sind nicht Untote, die zurückkamen, sondern Abwesende, die ihren Körper zurückließen. Sie sind dem hiesigen Raum entzogen, weil sie sich einem anderen verbunden fühlen. Konnektivität der Trennung.“

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