babylon (slang)

site-spezifische Performance
Foreign Tongues Zyklus 

Die biblische Geschichte vom Turmbau zu Babel entwirft in grauer Vorzeit angesiedelt eine Dystopie des Urbanen, die Katastrophe ihres Zusammenbruchs, ein Scheitern komplexer Systeme am Gesetz der Entropie. Zugleich steht Babylon für die Erfahrung des Exils, der unfreiwilligen Ortsveränderung, für das Moment, das in der Religionsgesichte den Monotheismus, die universalistische Ethik hervorgebracht hat, die über die Grenzen der Familie, des Clans, des Stammes, der Nation, der Religionsgemeinschaft hinausweist. Bevor wir sprechen, bringen wir ein ganzes Epos unerzählter Geschichten mit ins Spiel, die Prägung durch die Familie, Stereotypen des Geschlechts, die Instanzen kultureller Sozialisation, die das Sehen, Denken und Sprechen formen, die Zurichtungen der Körper und des Begehrens darin, die elementaren Machtspiele des Alltags. Die regionalen Idiosynkrasien des Dialekts sind ebenso darin enthalten, wie der Anspruch, um den Preis der Verarmung und Vereinfachung im globalisierten Kontext eine Weltsprache zu sprechen.

Babylon (Slang) ist das gelebte Übersetzungsproblem, das verlangt, das Trennende auszuhalten und dennoch Gemeinsames darin zu finden.

photos: m. loizenbauer, c. haring

Im Reich des Sinns. Babylon brennt.

Stefan Grissemann

Der Umgang mit Sprache ist eine Frage der Macht. Was sich deutlich genug schon in der Rhetorik selbst äußert: Man „beherrscht“ eine Sprache, ist ihrer „mächtig“, man kann sie als eine Art Waffe benutzen, mit ihr Widerstand leisten, einschüchtern, niederreden, ausgrenzen; wer die Sprache der Mehrheit zur Verfügung hat, besitzt auch Autorität. Und man kann sich mit sprachlichen Mitteln jederzeit über den common sense hinwegsetzen, die Dinge im eigenen Interesse mit neuen Bedeutungen ausstatten oder sie in kreativer Anstrengung ironisch brechen.

Jeder Sprechakt ist eine Performance, eine kommunikative Unternehmung, dafür benötigt man noch nicht einmal ein Publikum: Auch ein Selbstgespräch verfügt über die erforderliche Theatralik. Wer sprachlich aktiv wird, übermittelt jedoch in der Regel etwas an andere: einen Gedanken, eine Idee, ein Angebot oder eine Anweisung, man konstruiert jedenfalls Sinn. Wie aber klingt eine bestimmte „Bedeutung“ konkret? Wie sieht sie aus, wenn sie „verkörpert“ wird? Sprachen sind, ehe sie noch „Sinn“ ergeben, erst einmal nur Sound und Rhythmus, ambivalente Klanginseln. In Foreign Tongues werden zugespielte Sprachäußerungen – ferne Dialekte, Regional- und Minderheitssprachen – nicht auf semantischer Grundlage, sondern auf Basis von Dynamik, Betonung und Atmosphäre in Bewegungssequenzen übersetzt. Die Sprachmuster werden musikalisch verstanden und gestisch interpretiert, im Zusammenspiel von Gefühl und Verstand.

Die Körper haben einen anderen, weniger willkürlichen Sinn als die Worte. Sie erscheinen unleugbar, unabänderlich und allgemein „verständlich“. Denn das ist Sprache eben auch: eine Frage der Identität. In Foreign Tongues sind die Körper Container, Seismografen und Übersetzer. Die Transkriptionen, die sie liefern, zielen ins Uneindeutige, sind offen für Interpretationen und Träumereien. Das Dokumentarische des (sprachlichen) Ausgangsmaterials wird dabei erhalten. Das Momentane, Unwiederholbare der aufgezeichneten akustischen Vorlagen wird vom Ensemble im Augenblick der Performance adäquat wiedergegeben: als Akt zwischen impulsiver Reaktion und tänzerischer Fixierung. Sprache lässt sich produktiv missverstehen, stellt – oft wider Willen – Doppeldeutigkeiten her, hüllt sich in die Nebel des Mysteriösen, wird so für die Kunst nutzbar: gestisch, mimisch, phonetisch.

Foreign Tongues ist als Serie konzipiert, als System der vielfältigen Bearbeitung (und Archivierung) fremder, bisweilen auch vertrauter Zeichen. Der Gedanke der Büchersammlung liegt dem entstehenden Werkkomplex zugrunde, aber nicht realiter, sondern bloß als Echo jener abstrakten Utopie, wie sie in Jorge Luis Borges‘ fantastischer Erzählung „Die Bibliothek von Babel“ (1941) ausgebreitet wird, die das imaginationssprengende Konzept der Unendlichkeit feiert. In Borges’ fiktiver Universalbibliothek finden sich alle möglichen Druckwerke, die man aus sämtlichen Buchstabenkombinationen eines 25 Zeichen umfassenden Alphabets fertigen kann – jedes denkbare Buch, in jede existierende Sprache übersetzt. Und man muss nur lange genug suchen: Eine der Publikationen erklärt logischerweise alles, die Welt, das Leben und selbstverständlich auch die Struktur der grenzenlosen Bibliothek.

Im Rahmen seiner – naturgemäß endlichen – Mischung aus identifizierbaren und bis ins Fiktionale verfremdeten Sprachen bietet auch „Foreign Tongues“ ein stetig wachsendes Reservoir lokaler Ausdrucks- und Erzählweisen, im sprunghaften Wechsel der Sprechmodi und Jargons. Die Manipulation der aus technisch bewusst rohen field recordings gewonnenen Sprachbeispielen produziert gezerrte, überdrehte, auch robotische Cartoon-Stimmen, weiß die sinnliche Groteske des Stotterns und des Zuckens künstlich (re)animierter Figuren im synthetischen Puls des Soundtracks sehr zu schätzen. Und ein Arsenal an vorsprachlichen, ebenfalls physisch interpretierten Geräuschen – all das Schaben, Quietschen, Kratzen und Knarren – erinnert daran, dass auch Sprachen selbst nichts als choreografierte Geräuschabläufe sind.

Die – gewohnt furchtlos agierenden – Tänzerinnen und Tänzer steuern die Monologe, die Dialogfragmente und Sprachfetzen, mit und zu denen sie spielen, per iPod selbst an. Jeder Körper hat seine eigene externe Klangquelle. Sie nützen den Zugewinn an Selbstbestimmung und Spielraum, an Bewegungs-Autonomie und aleatorischer Gestaltung, die Befreiung aus der Bühnensituation und dem strengen Timing fixierter Inszenierungsmuster. Die Wortkaskaden, die sie vorführen, steigern sich zu absurd anmutenden Sinn-Schwärmen, die in der Foreign Tongues-Serie auf ein regelrecht sinfonisches Ziel hinauslaufen werden.

Das Lachen, für sich allein und auch im Kollektiv, wird darin neu angefacht. Babylon ist abgebrannt. Aber das Ende ist fern, denn die Heiterkeit kennt keine Apokalypse – nur die anarchische Schubkraft des (im besten Sinne) Infantilen.

09.08.2020

Kultursommer Wien

08.08.2020

Kultursommer Wien

08.06.2019

Tanz.Ist Dornbirn, AT

06.06.2019

Tanz.Ist Dornbirn, AT

19.10.2018

ImPulsTanz Gala, Hotel Intercontinental, Wien

07.08.2018

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

06.08.2018

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

05.08.2018

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

04.08.2018

ImPulsTanz Vienna International Dance Festival, AT

dates

Tanz, Choreografie: Luke Baio, Dong Uk Kim, Katharina Meves, Dante Murillo, Anna Maria Nowak, Arttu Palmio, Karin Pauer, Hannah Timbrell
Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring
Komposition, Sound: Andreas Berger
Licht Design, Szenografie: Thomas Jelinek
Choreografische Assistenz: Stephanie Cumming
Kostüme: Stefan Röhrle
Libretto: Aldo Giannotti
Programmtexte: Stefan Grissemann, Uwe Mattheiss
Distribution: APROPIC – Line Rousseau, Marion Gauvent
Stage Management: Roman Harrer
Foto- und Videodokumentation: Michael Loizenbauer
Produktionsassistenz: Christina Helena Romirer
Company Management, Produktion: Marlies Pucher

Foreign Tongues erhält als IN SITU Pilot Project eine Projektförderung über IN SITU ACT, ko-finanziert von der Europäischen Union über das Programm Creative Europe. IN SITU Koproduktionspartner: Atelier 231 (FR), Festival di Terni (IT), Freedom Festival (UK), La Strada Graz (AT), Lieux publics (FR), Norfolk & Norwich Festival (UK), Østfold kulturutvikling (NO), Oerol Festival (NL), Theater op de Markt (BE) and UZ Arts (UK). Research-Partner: CDC Toulouse (FR), Dublin Dance Festival (IR), Tanz.Ist Dornbirn (AT), Opera Estate Festival Bassano del Grappa (I), DansBrabant (NL).

Liquid Loft wird unterstützt von: MA7 Kulturabteilung der Stadt Wien und BKA Bundeskanzleramt Kunst & Kultur

credits

Salzburger Nachrichten, / Kleine Zeitung 5.8.2018

ImPulsTanz: Sprechende Körper in „Foreign Tongues Babylon“

Gerade in der Urlaubszeit wird oft deutlich: Je besser man eine Sprache beherrscht, je sprachmächtiger man ist, desto mehr Handlungsspielraum eröffnet sich. Chris Haring führt diese Prämisse mit seiner Compagnie Liquid Loft ad absurdum: In „Foreign Tongues Babylon (Slang)“ suchen die Tänzer die Bedeutungsebene in der Bewegung. Bei ImPulsTanz feierte die Wien-Version am Samstag ihre Uraufführung.

Wie tanzt man das Quietschen einer Türe? Wie würde sich ein startendes Motorrad bewegen, wäre es ein Mensch? Vor den mumok Hofstallungen, inmitten des sich drängenden Publikums, windet sich der aus Korea stammende Tänzer Dong Uk Kim auf dem Asphalt. In seiner Hand ein mobiler Lautsprecher, aus dem abwechselnd das Quietschen und das Motorengeräusch dringen. Zuckend, zögernd, schwerfällig setzt er die Geräusche in Bewegung um. Aus einer anderen Ecke des Hofs erklingen unterdessen erste Stimmen: Langsam schälen sich die acht in Schwarz gekleideten Performer von Liquid Loft aus dem wartenden Publikum, gestikulieren zu den von Andreas Berger zu einer polyfonen Komposition verdichteten Alltagssounds und wirbeln einzeln durch die Menge, nur um sich Momente später wieder zu einem schwerfälligen Ganzen zu verbinden, das sich in Zeitlupe zu dunklen Skulpturen aufbaut.

Sprachen, Dialekte, Slangs: Im Laufe der Jahre haben Liquid Loft in zahlreichen Interviews Sprachaufnahmen angefertigt, die Berger nun – oft kaum verständlich – zu einem großen, rhythmischen Rauschen zusammengefügt hat. Immer wieder treten Aussagen dann wieder klar zutage, hört man einzelne Worte und Sätze in Sprachen und Dialekten wie Katalanisch, Okzitanisch, Suomi oder Obersteirisch. Die Bedeutung des Gesagten tritt dabei in den Hintergrund. Es ist die Sprachmelodie, die Emotion, die Tonlage, die die Performer als Ausgangspunkt für ihre Gestik, ihre Mimik nehmen und das Gesagte behutsam in Tanz überführen.

In der zweiten Hälfte des Abends verlagert sich das Geschehen schließlich in die dunkle, nur unmerklich kühlere Halle der mumok Hofstallung. Im gleißenden Scheinwerferlicht bewegen sich die Tänzer durch das stehende Publikum, führen imaginäre Streitgespräche, drehen sich zu Kinderliedern um die eigene Achse, finden sich zu Zweikämpfen und Liebesakten zusammen und bringen das babylonische Sprachengewirr in wenigen, aber intensiven Gruppenszenen, in denen es mal um kollektive Aufregung, dann wieder um Zusammenhalt geht, zusammen.

42 Sprachen werden in jenem Folder aufgelistet, den die Zuschauer im Anschluss an die 70-minütige Performance erhalten. Darin finden sich auch verrätselte Zeichnungen, die Szenen wie die „Mantra Formation“, den „DJ’s Speech“ oder den „Pasolini Pöbel“ grafisch darstellen. Auch hier gilt: Es ist eine fremde (Zeichen)sprache, die sich erst in der körperlichen Umsetzung erschließt.

Mit dem als Serie angelegten „Foreign Tongues“ gelingt Chris Haring und seinen Mitstreitern eine eindringliche Vorstellung von einer Welt, in der der Körper die einzelnen Sprachen überwunden hat. Wo es darauf ankommt, auf den individuellen Ausdruck zu achten und die semantische Ebene hinter sich zu lassen. Eine packende Versuchsanordnung, die am Ende des Abends mit viel Applaus gewürdigt wurde.

Kronen Zeitung, 8.8.2018

Babylons getanzte Sprachunendlichkeit / Stefan Musil

Der Körper als laut- und sprachbestimmtes Instrument: Choreograf Chris Haring und seine Gruppe Liquid Loft setzen im Rahmen von ImPulsTanz ihre Projektserie „Foreign Tongues“ fort. In und vor den Hofstallungen im MQ wurde dafür jetzt ihre bildmächtige Wien- Version „Babylon Slang“ als eine höchst eindrucksvolle Performance uraufgeführt.

Es knarzt und kracht. Der Tänzer vollführt zackige, zuckende Bewegungen, geht in die Knie, bewegt sich auf dem Boden zu den Lauten, die aus einem kleinen Bluetooth-Lautsprecher stechen, den er in der Hand hält. Neue Geräusche an anderer Stelle. Neuer Tänzer, andere Bewegungen.

Aus den Geräuschen lösen sich bald Wortfetzen, elektronisch verfremdet. Immer mehr Tänzer finden sich zusammen, jeder von einem Lautsprecher angetrieben. Die allesamt großartigen Tänzer stehen in der Reihe, sind nur kurz in ihren Bewegungen gleichgeschaltet. Bald folgt jeder mit seinen Lippen den jeweiligen Sprachfetzen, die aus seinem Lautsprecher tönen. Die Körper scheinen in Stimmung, Tempo und Duktus ganz von der jeweiligen Sprachanleitung bestimmt.

Es ist eine ebenso vielfältige wie faszinierende Untersuchung der Sprache durch den Tanz, in der Haring und Liquid Loft versuchen, sie in all ihren Facetten und Möglichkeiten körperlich und damit sichtbar zu machen. Zu schauen, wie mächtig Sprache ist, wie sie sich versinnbildlichen lässt, wie performativ ein Sprachakt sein kann, um sie letztlich aufs Geräuschhafte zurückzuführen – nur noch Stimmung und Rhythmus aus ihr sprechen zu lassen.

Nach einer halben Stunde bittet man in die Halle der Hofstallungen, in der das babylonische Sprachgewitter in immer neuen Situationen und Kombinationen zwischen den sich frei bewegenden Zuschauern weiter durchdekliniert wird. Am Ende geht es wieder hinaus. Bis nur noch Lachen die Körper bestimmt.

Kurier, 6.8.2018

Sprachspiele bei ImPulsTanz / Peter Jarolin

Kritik. Chris Haring/Liquid Loft mit „Foreign Tongues Babylon (Slang)“ bei ImPulsTanz im Museumsquartier. Chris Harings furioses „Foreign Tongues Babylon (Slang)“.

Wie hat es Ludwig Wittgenstein im letzten Satz seines „Tractatus logico-philosophicus“ so treffend formuliert? „Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen.“ Oder aber: Man tanzt. Für diesen Weg haben sich Chris Haring und Liquid Loft bei ihrem neuen Projekt „Foreign Tongues Babylon (Slang)“ in den Hofstallungen des Museumsquartiers entschieden.

Klangteppich

Es ist ein Knarren, Schaben, Quietschen und Kratzen, das Harings wunderbar intensive acht Performerinnen und Performer anfangs noch im Freien von sich geben. Eine Art verfremdeter Singsang, der mit Unterstützung von iPhones gesteuert wird. Sprachfetzen (auch im Dialekt) auf Katalanisch, Okzitanisch, Suomi oder Obersteirisch mischen sich dann in den Hofstallungen zu einem furiosen Klangteppich (Komposition: Andreas Berger), der als Folie, als Spielweise für diverse körperliche Interaktionen dient.

Haring untersucht in dieser Projektserie die Grenzen der Sprache und die Möglichkeiten, sich über den Körper auszudrücken. Das Publikum steht im Raum, kann frei umherwandern, wird von den Performerinnen direkt angespielt. Einzelne Wortfetzen sind zu verstehen; aber auch Kinderlieder erhalten in furiosen, teils sogar an Installationen gemahnenden Soli und Duetten eine völlig neue Bedeutung.

Poesie

Die Grenzen der Sprachlichkeit eröffnen bei Haring neue Chancen der Kommunikation. Das ist schweißtreibend, körperbetont, klug gedacht und wunderbar poetisch. Harte Zweikämpfe, zarte Liebesspiele, feine Drehungen (um das eigene Da-Sein) dienen Haring als Versuchsanordnung humaner Begegnungen. Nie tonlos, aber nie ganz verständlich. Denn es sind immer die übrigens von den Performern gesteuerten iPhones, die den Rhythmus, ja den Takt angeben.

Ein Rest von Geheimnis muss dabei stets bleiben. Nur ganz am Ende – man befindet sich wieder im Freien – sind einige der so kreierten Sprachinseln klar zu vernehmen. Und da kommt dann auch das gar nicht so goldene Wiener Herz zu Wort und macht einen sprachlos.

Tanzschrift, 6.8.2018

Babylon liegt in Wien in den Hofstallungen / Ditta Rudle

“Foreign Tongues” von Chris Haring und seiner Company Liquid Loft. Die Serie beschäftigt sich mit dem Zusammenspiel von sprechendem und bewegtem Körper. Nach der eindrucksvollen Performance „Church of Ignorance“ in der säkularisierten Dominikanerkirche von Krems während des Donaufestivals 18 ist „Babylon (Slang)“ im Museumsquartier / Hofstallungen (mumok) im Rahmen des ImPulsTanz Festivals 2018 zu sehen.

Ausgangspunkt der Serie „Foreign Tongues“ sind Sprachaufnahmen, inzwischen sind es 42, die im Rahmen von Interviews, vor allem mit Bewahrer*Innen von Minderheitensprachen und Dialekten aufgenommen worden sind. Dabei geht es nicht um Inhalte, sondern um Melodie und Tonfall, Rhythmus und Dynamik. Wörter, die willkürliche Zusammensetzung von Zeichen, hat an sich keinen Sinn, dieser wird ihnen erst von jenen unterlegt, die diese Sprache gelernt haben. Auch Kleinkinder sprechen, wir sind entzückt und lassen sie nicht wissen, dass wir den Sinn ihres Brrr und Blaa nicht verstehen. Ob sie wirklich mit mamamam die Mutter meinen? Wir sagen es ihnen.

Mit ihren Körpern übersetzen die acht Tänzerinnen und Tänzer von Liquid Loft die teilweise verständlichen, teilweise verfremdeten und verzerrten Sprachaufnahmen, also die vokale Performance, in eine physische. Sprache wird Bewegung. Jede(r) trägt ihre (seine) eigene Klangwelle mit sich, kann sie selbst ansteuern und ist mit den anderen über Bluetooth verbunden. So sind oft gleichzeitig acht einzelne Solos zu sehen, dann wieder bewegt sich die Gruppe, zu synchronem oder polyphonem Klang, wie ein Körper. Eine wesentliche Rolle spielt auch der Raum. Ob in einem gotischen Kirchenschiff, in den Dünen der niederländischen Insel Terschelling, wo Liquid Loft 18 Mal (an neun Tagen je zwei Mal) aufgetreten ist, oder beim flämischen Sommerfestival in Hasselt, jedes Mal ist die Vorstellung eine andere. Die Tänzer*innen stellen sich mit ihrem „Übersetzungsprogramm“ (Sprache wird Bewegung) immer wieder neu um und erobern den Raum.

In Wien wird also in einem ehemaligen Pferdestall übersetzt, nicht nur einzelne Sprachfetzen, oft viele gleichzeitig, sind zu hören, sondern auch der allgemeine Sound, der schnarrt und krarzt, schabt und schleift, rumpelt und pumpelt, läutet und klingelt und immer wieder zum Höllenlärm anschwillt, bis zur Unerträglichkeit gesteigert. Auch die plötzlich einsetzende Stille tut weh.

Doch die Kakophonie der Stimmen und Töne setzt bald wieder ein und die Tänzer*innen formen die Laute stumm mit den Lippen und sehr „beredt“ mit ihrem ganzen Körper, der ganz in Schwarz gehüllt ist. Auch die Kostüme bestehen aus Modulen, wie die gesamte babylonische Vorführung, die weggelassen und wieder dazu genommen werden. Der Beginn ist draußen, vor den Stallungen, oben vor dem mumok steht Karin Pauer und singt, klagend, lockend, ringt die Arme. Gleich wird sie springen, fürchte ich, sie tut es nicht, verschwindet wieder von der Empore.

Unten liegen schwarze Wesen auf dem Boden, winden sich im Klangraum. Danach wandert das Publikum hinein, in die große Halle. Aufgepasst! Die schwarzen Bündel an der Wand stoßen summende Laute aus, bewegen sich, erheben sich, werden zu Figuren, die die Vermummung lösen, sind menschliche Körper, denen man folgen will, wenn sie auseinanderdriften, die man gebannt beobachtet, wenn sie sich gemeinsam Raum schaffen. Das Publikum kann nicht nah genug heran gehen, hat (als würde es vor dem Förderband im Flughafen stehen) noch nicht begriffen, dass nur im erweiterten Rund alle etwas sehen können. Die Performer*innen kümmert das nicht, wie Furien stürmen sie durch die Reihen, drängen die Sehenden, die ohnehin nicht alle und alles im Blick haben können, auseinander, erstarren zur Skulptur, der wir, wie auch manchen Szenen, Sinn geben können.

Gesten und Bewegungen sind deutbar und meist allgemein verständlich: Eine Umarmung ist eine Umarmung, auf erhöhtem Podest will einer stehen, der was ansagen, oder gar anschaffen will, wenn der Tänzer hinter dem Mischpult gestikuliert, dann wird er zum Dirigenten (nicht unbedingt eines Orchesters).

Beruhigend: Auch wenn man gar nicht weiß, was uns die Serie „Foreign Tongues / Fremde Zungen“ grundsätzlich und „Babylon (Slang)“ speziell mitteilen wollen, so ist diese präzise mit verblüffender, nie versiegender Energie dargebrachte Performance reiner Genuss. Die Tänzerinnen und Tänzer sind unterschiedlich in ihren Bewegungen, aber gleich in ihrer Perfektion.

Mit Epitheta für diesen, im Gegensatz zum biblischen überaus kommunikativen Turm von Babel ist nicht zu sparen: Fantasievoll und abwechslungsreich, hochartifiziell und präzise, aufwändig und exzessiv, aufregend und spannend und immer wieder neu.

Nach kurzen 70 Minuten dürfen sich auch die Tänzer*innen kurz unter freiem Himmel ein wenig abkühlen, bevor sie, frontal aufgereiht, erstarren und den Applaus der Begeisterten – ich sage huldvoll, weil das ein schönes Wort ist – entgegennehmen.

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