foreign tongues (toulouse)
Die Performance-Serie von Liquid Loft rückt den Akt des Sprechens ins Zentrum des choreografischen Interesses und reflektiert die Erfahrung gegenwärtigen urbanen Lebens, seine Vielstimmigkeit und Vielsprachigkeit. Ausgangspunkt sind Sprachaufnahmen auf Basis von persönlichen Gesprächen mit Menschen in verschiedenen Regionen Europas, wobei wir uns auf Regionalsprachen bzw. Minderheitssprachen konzentrieren. In den Proben werden die Sprachaufnahmen in Verbindung zur Körpersprache der Tänzer gesetzt und der sprachliche Ausdruck (mit all seinen Attributen wie Tonalität, Klang, Dynamik, Betonung, etc.) in Bewegungssequenzen übersetzt.
Foreign Tongues spielt mit dem Dilemma der Sprache, dem gelebten Übersetzungsproblem, das verlangt, das Trennende auszuhalten und dennoch Gemeinsames darin zu finden. Durch Widersprüche und Überraschungszusammenhänge, führt es unter anderem vor, wie viel man schon begreifen kann, wenn man noch gar nichts zu verstehen meint.
Foreign Tongues (Toulouse) ist eine Bühnenperformance, die aus einer Research Phase in der Region Occitanie, Frankreich in Kollaboration mit dem CDC Toulouse hervorgegangen ist.
photos: c. haring, m.loizenbauer
code inconnu.
Anmerkungen zu Foreign Tongues (Toulouse)
Stefan Grissemann
Im Reich der Zeichen ist eine gewisse Unübersichtlichkeit nicht zu vermeiden. Menschen, die sich sprachlich und gestisch aneinander wenden, bewegen sich auf unsicherem Terrain. Das Verstehen selbst ist ein perfekter Begriff, weil in ihm Lapsus und Trugschluss schon angelegt scheinen. Ver-steht man sich (und einander) nicht auch nur so, wie man sich verirrt, verbraucht, verliert oder vertippt? Aber jedes Missverständnis birgt eine Chance: Ein zunächst undurchdringliches Wort kann durch eine simple Schwingung des Körpers jene offene Bedeutung erhalten, die etwas ahnen lässt, wovon man vielleicht lieber gar nichts wissen will. Eine Pose andererseits, die an sich kaum zu deuten ist, kann durch den Klang eines gesprochenen Begriffs interpretierbar, wenn auch möglicherweise noch nicht ganz fassbar werden.
Um das Rätsel Kommunikation kreist Foreign Tongues, um Polyphonie und Multilingualismus, um das freie Spiel, das Körper und gesprochene Sprache miteinander veranstalten. Wer in Zungen spricht, gibt sich nicht preis, bleibt uneindeutig, wie fremd bestimmt: dem Glauben näher als dem Wissen.
Foreign Tongues durchleuchtet die Handicaps der Verständigung, die tausend Optionen der Verkennung, aber auch die assoziativen Abwege, die in der Interaktion von Sprache und Gestik liegen. Wer die erweiterten Mittel seines Körpers nutzt, um sich zu Wort zu melden, tut dies anschaulich; man spricht sichtbar, in einem Akt leiblicher Lautmalerei. Im Versuch der Beschreibung eines Sachverhalts wird, wenn neben den nötigen Begriffen die passenden Bewegungen zur Anwendung kommen, das semantische Feld gedehnt und die Kommunikation kompliziert. Physisch-akustische Sinnvermittlung ist deutlich mehr als die Summe ihrer Zeichen. Die Körpersprache legt Ideen offen und Dinge nahe, die in den Worten selbst nicht zu finden sind.
Die Grenzen sind fließend, in jedem Sinn: In Foreign Tongues kommen Minderheitensprachen zum Einsatz, die – nicht selten vom Aussterben bedroht – über nationalstaatliche, politische Grenzen hinaus gedacht und gesprochen sind. Das klangliche Grundmaterial bilden voice recordings in Baskisch, Okzitanisch, Romani, Katalanisch Burgenland-Kroatisch und anderen Sprachen. Das babylonische Prinzip vielfältiger und einander überlappender Stimmen und Sprechweisen wird tänzerisch übersetzt in zwischenmenschliche Kontaktaufnahmen und –abbrüche, in all die Hellos und Goodbyes, die Begehrlichkeiten und Abfertigungen, zwischen denen jene Augenblicke der Nähe liegen, auf die es die Sprache auch abgesehen hat. Foreign Tongues ist ein Spiel mit Widersprüchen und Überraschungszusammenhängen, das unter anderem auch vorführt, wie viel man schon begreifen kann, wenn man noch gar nichts zu verstehen meint.Die Fluidität der Bedeutungen wird in Foreign Tongues in verschiedenen Reiz-Reaktions-Konstellationen durchgespielt, in der Verknüpfung von aufgezeichneten, in Endlosschleifen kreisenden Stimmen und choreografierten Körpern. In den lippensynchronen Performances wird das umgekehrte Dubbing, wie in Liquid-Loft-Projekten üblich, praktiziert: nicht das Sprechen auf abrufbare fremde Körper, sondern die „Verkörperung“ fremder Stimmen. Die Grundfragen dieses Abends – wie überträgt sich Gesprochenes in Körpersprachliches? Wie interagieren Klang und Geste? – beziehen sich auf alltägliche, gelebte Übersetzungsleistungen: Die Choreografie entwickelt sich aus dem Konversationston; man setzt sich aus dem Sprechen in Bewegung und meldet sich umgekehrt aus den Gebärden zu Wort. Reden wir noch, oder tanzen wir schon?
Toulouse, der Untertitel dieser ersten Etappe eines geplanten neuen Zyklus an Performances, verweist auf den zentralen Aufnahmeort der von Liquid Loft selbst aufgezeichneten Stimmen: In der südfranzösischen Stadt wurde das Gros der hier erklingenden Ausführungen eingespielt, somit auch regionale Feldforschung betrieben: So divers tönt Toulouse – jedenfalls, wenn man genau genug hinhört. Die Foreign-Tongues-Serie ist nun beliebig ausbaubar, das Werk kann an jedem Ort der Welt um die jeweils lokalen Sprachreservoirs ergänzt und mit diesen neu moduliert werden.
Mit sanft surrealem Witz rückt man in Foreign Tongues der sozialen Realität – im Wortsinn – auf den Leib, zeichnet dabei eine sanft entwirklichte, aber jederzeit wiedererkennbare Welt, in der authentisches Sprechen auf hochstilisiertes posing trifft und die reale Existenz der Tanzenden auf die virtuelle Präsenz jener Unbekannten, von denen jeweils nur noch die phantomhafte Spur einer Sprachklangkonserve verfügbar ist. Zu den entscheidenden Bedingungen der Arbeit von Liquid Loft gehört die systematische Trennung von (zugespielter) Stimme und (darstellendem) Körper. Am Ende dieses Abends werden Physisches und Vokales dennoch überraschend wiedervereint, begleitet allerdings von fernem Dröhnen, gefangen im Loop einer Live-Komposition für fünf Körper und Stimmen, im verlöschenden Licht eines künstlichen Tages.
Figurentheaterfestival Nürnberg, DE
Tanzquartier Wien, AT
Tanzquartier Wien, AT
Tanzquartier Wien, AT
CDC Toulouse, FR
dates
Tanz, Choreografie: Luke Baio, Stephanie Cumming, Katharina Meves, Arttu Palmio, Karin Pauer
Künstlerische Leitung, Choreografie: Chris Haring
Komposition, Sound: Andreas Berger
Lichtdesign, Szenografie: Thomas Jelinek
Kostüm: Julia Cepp
Theorie, Text: Stefan Grissemann
Stage Management: Roman Harrer
Foto und Video Dokumentation: Michael Loizenbauer
Distribution: Line Rousseau, Marion Gauvent, APROPIC
Produktionsassistenz: Christina Helena Romirer
Produktionsleitung: Marlies Pucher
Koproduktion: Tanzquartier Wien, CDC Toulouse & Liquid LoftDauer: 65 min
Unser besonderer Dank gilt den folgenden Personen, deren Stimmaufzeichnungen in den letzten Monaten aus persönlichen Gesprächen entstanden sind, natürlich und insbesondere auch jenen, deren Aufnahmen in dieser Bühnenversion aus rein dramaturgischen Gründen keine Verwendung fanden: Aika Souleimenova, Brigitta Machtinger, Camille Chopin, Ditta Miranda Jasfi, Emmerich Gärtner Horvath, Isabelle Piquemal, Josef Schmidt, Julie Loubere, Luce Vergneaux, Lou Dávi, Mathieu Fauvé, Miaai Sorin-Giurgin, Martin Horvath, Michael Machtinger, Mijiti Mukadasi, Paul Horvath, Romain Brunel, Yoann Ducassou, Yuko Yamada, Nicki, Kim, Diana, Christa und Annemarie Haring. Dank an: Paul-Eric Labrosse, Walter Heun, Maison de l’Occitanie Toulouse, Anna Maria Nowak, Fritz Ostermayer, Guy Cools, Roderich Madl, Uwe Mattheiß Liquid Loft wird gefördert von der MA7 Kulturabteilung der Stadt Wien und dem BKA Bundeskanzleramt Kunst & Kultur.
credits
der standard, 17.2.2017
“Foreign Tongues”: Viennese bodies that speak Uyghur / Helmut Ploebst
Translation from the German Original.
Liquid Loft show the premiere of their excellent new piece at the Tanzquartier.
Vienna – The word diversity sounds worn out. It shares the fate of all the buzzwords that are forced through too many mouths, screens and printers. It clearly sounds especially spent to those of our contemporaries who never were big on diversity to begin with. The variety of languages, for example.
A well-intentioned antinationalist dream of modernity once formed the global unified language. But at the same time, it was not without dangers – like most global pipe-dreams that confuse the western course with the world’s course. Dancing into the pipe dream of language-levelling we currently see Viennese troupe Liquid Loft at the Tanzquartier with “Foreign Tongues“, the latest piece by Viennese choreographer Chris Haring.
More than the mere sound
In it the three female and two male dancers have to say sentences and dialogues in a variety of languages which the larger part of the audience find hard to identify. No wonder, as they speak, for example, Kazakh or Uyghur, Occitan and Catalan or Burgenland Croatian. There is no over-titling. Nevertheless, there is more than the mere sound of the words.
What Liquid Loft compose into a brand-new choreography, is the multi-faceted nature of all that gives live to the spoken utterance: tonality and melody, facial expression and gestures, the whole expressive repertoire of the body when it articulates itself verbally. Yet Haring doesn’t allow his dancers any imitation or satirizing of behaviour in their body language.
From the off
Instead, situations are created that are presumably related to what is said, but which are elevated to the artificial or abstract. What is more, the speaking does not directly emanate from the mouths of the five figures on stage, but from the off. The dancers only move their lips in sync. These are methods Haring has previously employed, but in “Foreign Tongues” the overdubbing refers to a new level of meaning.
In Liquid Loft’s live performances dubbing points to the fact that our talking and writing is determined by culture that dictates to the communicator their words, their content, and the way they are used. And through the use of technology it is made clear that media is involved in every language culture. What makes “Foreign Tongues” so exciting is the fact that in it the identification of speakers with the languages they use is dissolved.
Without didactic pointing fingers
Neither Katharina Meves nor Stephanie Cumming and Karin Pauer or Luke Baio or Arttu Palmio can speak the languages they use. But they take their sheer otherness quite casually, thus playing at a naturalness of the unfamiliar. Without didactic pointing fingers, but in recognizable situations.
And when, occasionally, there’s a flash of Austrian dialect, the audience laughs, because in these moments they see the spotlight on themselves: as a part of the whole cultural richness of this planet. The sound (Andres Berger) is quite specifically related to the different scenes, as well as the minimal stage and the – sometimes – uncanny light of Thomas Jelinek.
“Foreign Tongues” is a brilliant piece from start to finish. With it Liquid Loft have discovered a convincing new quality for which they earned much applause from the premiere audience.
der standard, 17.2.2017
“Foreign Tongues”: Wiener Körper, die uigurisch sprechen / Helmut Ploebst
Liquid Loft zeigt im Tanzquartier die Uraufführung ihres exzellenten neuen Stücks
Wien – Das Wort Vielfalt klingt abgenutzt. Es teilt das Schicksal aller Schlagwörter, die durch zu viele Münder, Bildschirme und Drucker müssen. Besonders verbraucht klingt es klarerweise für jene Zeitgenossen, die der Vielfalt an sich schon nicht viel abgewinnen können. Der Vielfalt von Sprachen zum Beispiel.
Ein gut gemeint antinationalistischer Traum der Moderne war einmal die globale Einheitssprache. Aber auch gefährlich – wie die meisten “globalen” Hirngespinste, die “Westläufigkeit” mit Weltläufigkeit verwechseln. In das Gespinst der Sprachenplanierung tanzt jetzt die Wiener Gruppe Liquid Loft im Tanzquartier Wien hinein: mit “Foreign Tongues”, dem jüngsten Stück des Wiener Choreografen Chris Haring.
Mehr als der bloße Klang
Darin haben drei Tänzerinnen und zwei Tänzer Sätze und Dialoge in vielen verschiedenen Sprachen zu sagen, die für den Großteil des Publikums schwer zu identifizieren sind. Kein Wunder, denn sie reden zum Beispiel kasachisch oder uigurisch, okzitanisch und katalanisch oder burgenländisches Kroatisch. Übertitelung gibt es nicht. Trotzdem vermittelt sich mehr als der bloße Klang der Worte.
Was Liquid Loft hier zu einer brandaktuellen Choreografie komponiert, ist die Vielschichtigkeit all dessen, was das Ausgesprochene belebt: Tonlagen und -fälle, Mimiken und Gesten, das ganze Ausdrucksrepertoire des Körpers, wenn er sich sprachlich artikuliert. Dabei erlaubt Haring seinen Tänzern keinerlei nachahmende oder Verhalten persiflierende Körpersprache.
Aus dem Off
Stattdessen werden Situationen hergestellt, die inhaltlich vermutlich mit dem Gesagten zusammenhängen, aber ins Künstliche gesteigert oder verfremdet sind. Außerdem kommt das Gesprochene nicht direkt aus den Mündern der fünf Bühnenfiguren, sondern aus dem Off. Die Tänzer bewegen nur ihre Münder dazu. Solche Methoden hat Haring bereits bei zahlreichen Arbeiten eingesetzt. In “Foreign Tongues” wird dem Synchronsprechen aber eine neue Bedeutungsebene zugewiesen.
In Liquid Lofts Liveperformances betont das Dubbing die Tatsache, dass unser Reden und Schreiben von der Kultur bestimmt ist, die den so Kommunizierenden ihre Worte, deren Inhalte und die Art ihres Gebrauchs vorgibt. Und durch den Einsatz von Technik wird auch deutlich, dass Medien in jeder Sprachkultur mitmischen. Was “Foreign Tongues” so mitreißend macht, ist, dass darin die Identifikation der Sprechenden mit den von ihnen verwendeten Sprachen aufgehoben wird.
Ohne didaktischen Zeigefinger
Weder Katharina Meves noch Stephanie Cumming und Karin Pauer oder Luke Baio respektive Arttu Palmio können die von ihnen verwendeten Sprachen anwenden. Aber sie nehmen deren schiere Andersheit ganz lässig auf und spielen so eine Selbstverständlichkeit des für uns Fremden aus. Ohne didaktischen Zeigefinger, dafür aber in wiedererkennbaren Situationen.
Und wenn zwischendurch einmal ein österreichischer Dialekt aufblitzt, lacht das Publikum, weil es sich in diesen Momenten selbst beleuchtet sieht: als Teil des ganzen kulturellen Reichtums auf diesem Planeten. Der Sound (Andreas Berger) ist ganz gezielt in Bezug zu den unterschiedlichen Szenen gesetzt, ebenso wie die minimale Bühne und das teils unheimliche Licht von Thomas Jelinek.
“Foreign Tongues” ist von Anfang bis Ende eine brillante Arbeit. Liquid Loft hat damit eine überzeugende neue Qualität entdeckt, für die es vom Premierenpublikum viel Applaus gab.
tanz.at, 17.2.2017
/ Edith Wolf Perez
Mit seiner neuen Produktion erfindet sich Chris Haring neu. Im ersten Teil der Serie, in der der Wiener Choreograf die Sprache in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt, verzichtet er im Gegensatz zu seinen letzten Stücken (fast) gänzlich auf Hightech. Die Zutaten diesmal: eine kahle Bühne, ein raffiniertes Lichtdesign, eine präzise Choreografie zu einem Sound aus Sprache und Mininal Music sowie die hinreißenden Liquid-Loft-Tänzerinnen und Tänzer.
Stephanie Cumming murmelt leise in einer unverständlichen Sprache. Ihre Rede begleiten elegante Gesten, die auf den Inhalt ihrer Aussage keine direkten Schlüsse bieten. Nach und nach kommen die anderen Performer dazu: Katharina Meves, Luke Baio, Karin Pauer, Arttu Palmio. Sie alle reden in einer anderen Sprache vor sich her, keine, die man erkennen oder gar verstehen kann. So weit, so 90er Jahre, möchte man meinen, als das babylonische Sprachengewirr auf der Bühne zum Ehrenkodex im Tanztheater gehörte.
Doch „Foreign Tongues“ hat das Zeug zum Trendsetter. Keine Kameras, keine Projektionsflächen stehen hier mehr im Weg, keine Spiegelungen, Reflexionen, Verzerrungen und andere Tricks, die die elektronische Medienwelt zu bieten hat, müssen synchronisiert werden. Nur Sound und Bewegung sind aufeinander abgestimmt, nicht in ausladender, raumgreifender Manier, sondern in zurückhaltender Reduktion – Virtuosität als Understatement. Die Choreografie wird vom Rhythmus und von der Melodie der Sprachen geleitet – und dabei hat Haring sich für „exotische“ Minderheitensprachen entschieden: man hört Occitane, Katalanisch, Burgenländisch-Kroatisch, schottisches Englisch, Romani, Baskisch, Kasachisch, burgenländisches Deutsch … Im Gegensatz zu den frühen Versuchen mit der Unverständlichkeit von Sprache gibt es hier keine Aufgeregtheit, vielmehr scheinen sich die Performer auf körperliche Codes zu einigen, mit denen sie in einen Dialog zueinander treten, zu zweit, zu dritt, in der Gruppe. Mit meditativer Gelassenheit entfalten die Tänzer im Playback ihre Gestensprache. Minutiös setzten sie ihre Mund-, Hand- und Körperbewegungen – sparsam, verhalten, kontrolliert. Andreas Berger hat dazu eine kongeniale Musik komponiert, die die Textpassagen überbrückt, miteinander verbindet, sie unterstützt. Erst am Ende sprechen die Tänzer selbst auf der Bühne, der Text wird immer leiser, die Bewegungen führen ihn bis zum Blackout fort. Thomas Jelinek setzt mit seinem Lichtdesign auf farbige Akzente und Schattenspiele.
Das Ergebnis ist magisch. Nach anfänglicher Irritation nichts vom Gesagten zu verstehen, gebe ich auf. Die hochästhetische Bewegungssprache, die sich auf der Bühne entfaltet, lädt ein zum Loslassen, sich von den Körpergeschichten berühren, erheitern und in eine andere Welt der Kommunikation versetzen zu lassen.
Die künstlerische Wende, die Chris Haring mit seinem Team vollzogen hat, ist großartig gelungen: „Foreign Tongues“ ist choreografisch inspiriert wie selten, doch genauso originell und akribisch genau umgesetzt wie alle Liquid-Loft-Produktionen. Die Fortsetzung wird mit Spannung erwartet.
wiener zeitung, 17.2.2017
/ Petra Paterno
“Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt”, heißt es in Wittgensteins berühmtem Tractatus. Der österreichische Choreograf Chris Haring versucht, mit seinem jüngsten Tanzstück “Foreign Tongues (Toulouse)” diese Grenzen neu auszuloten. Die knapp einstündige Aufführung, die nun im Wiener Tanzquartier uraufgeführt wurde, reflektiert auf überaus gelungene Weise die Polyphonie urbanen Lebens und umkreist das Thema Kommunikation in einer vielsprachigen Lebenswelt.
Soundtüftler Andreas Berger hat für den Auftakt der neuen Performance-Reihe von Harings Tanztruppe “Liquid Loft” Menschen aus der südfranzösischen Stadt Toulouse aufgezeichnet. Laut Programmheft handelt es sich um Minderheitensprachen wie Baskisch, Okzitanisch, Romani, Katalanisch. Berger entwirft aus den Aufnahmen eine faszinierende Klanglandschaft, die Konversationen sind erkennbar, aber unverstehbar.
Die Performer Luke Baio, Stephanie Cumming, Katharina Meves, Arttu Palmio und Karin Pauer betreten nacheinander die bis auf eine farbige Hintergrundwand leere Bühne der Halle G des Tanzquartiers. Sie tragen Jeans und T-Shirts und bewegen ihre Münder synchron mit der Tonspur, als wären sie die Person, die gerade spricht.
Surreales Potenzial
Aus alltäglichen Gesten – minimalen Kopf- und Handbewegungen, Fußstellungen und Hüftdrehungen – entwickelt Chris Haring eine konzentrierte Choreografie. Die Interaktion zwischen fremder Sprache, gekünstelter Pose und fließender Bewegung eröffnet dem Tänzerquintett bestes Spielmaterial. In einem Moment meint man, man könne ein Gespräch durch eine dazugehörende Geste entschlüsseln, als ob man der Dynamik einer Situation auf der Spur wäre, schon stellt sich alles wieder ganz anders dar und wird völlig unverständlich. Das Bewegungs- und Klangmaterial wirkt wie ein babylonisches Sprachengewirr. Der dramaturgische Bogen wechselt von Solo-Auftritten hin zu dialogähnlichen Sequenzen und gemeinsamen Tanzbewegungen, die gezielt synchron, dann wiederum asynchron verlaufen.